Die Industriellenvereinigung trommelt bereits seit Jahren für die Verlängerung der täglich bzw. wöchentlich zulässigen Höchstarbeitszeit. Sie bekommt dabei Schützenhilfe von Seiten der EU-Kommission, die 2012 im Labour Market Development-Report die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Reduktion von Überstundenzuschlägen, sowie generell den Abbau von kollektivvertraglichen Regelungen zugunsten „dezentralisierter“ Lohnfindung propagierte. Und zwar mit dem deklarierten Ziel: „Reduktion der gewerkschaftlichen Verhandlungsmacht“. Die türkis-blaue Bundesregierung hat nun eine Novellierung des Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetzes nach dem Geschmack von Großindustrie- und EU-Kommission vorgelegt. Sie beinhaltet:
- Ausweitung der täglich zulässigen Arbeitszeit auf 12 Stunden und der wöchentlich zulässigen Arbeitszeit auf 60 Stunden. Auch bisher konnte schon bis zu 12 Stunden täglich bzw. 60 Stunden wöchentlich gearbeitet werden. Doch das war an enge Vorgaben gebunden, unter anderem an die Zustimmung des Betriebsrates bzw. wenn ein solcher nicht vorhanden war, mussten bis zu zwei arbeitsmedizinische Gutachten die gesundheitliche Unbedenklichkeit attestierte. Alle diese Schutzmaßnahmen sollen nun wegfallen.
- Eher eine Verhöhnung der ArbeitnehmerInnen ist der neu eingefügte §7 Abs 6: „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können Überstunden nach den § 7 und §°8 Abs.°2 aus überwiegend persönlichen Interessen ablehnen, wenn durch diese Überstunden die Tagesarbeitszeit von zehn Stunden oder die Wochenarbeitszeit von 50 Stunden übersteigt.“ D.h. für die neunte und zehnte Stunde gibt es keine Ablehnungsmöglichkeiten mehr. Diese kann einfach angeordnet werden. Und wer angeordnete Überstunden ablehnt, dem droht die fristlose Entlassung. Und für die elfte und zwölfte Stunde kann man sich wohl an den Fingern einer Hand abzählen, wie oft man aus „überwiegend persönlichen Interessen“ Überstundenwünsche des Chefs abweist, bevor man das Firmengelände nur mehr von außen sieht.
- Bei Gleitzeit betrug bisher die mögliche Normalarbeitszeit 10 Stunden pro Woche. Nun soll die Normalarbeitszeit bei Gleitzeit „fünfmal pro Woche bis zu zwölf Stunden betragen“. Überstundenzuschläge ab der 11. Stunde gehen damit verloren. Auch sollen Zeitguthaben in Zukunft mittels Kollektivvertrag – statt bisher einmal – mehrmals in den nächsten Durchrechnungszeitraum übertragen werden können. Auch dadurch fallen Überstundenzuschläge weg.
- Unter bestimmten Umständen – z.B. wenn in bestimmten Situation „eine Vertretung des Arbeitnehmers durch andere Arbeitnehmer nicht möglich ist und dem Arbeitgeber die Heranziehung betriebsfremder Personen nicht zugemutet werden kann“ ist auch eine tägliche Höchstarbeitszeit über 12 Stunden zulässig. (§ 8, Abs 2)
- Im Gast-, Schank- und Beherbergungsgewerbe konnte zwar auch bisher schon die Ruhezeit von 11 auf 8 Stunden verkürzen werden. Das war aber nur per Kollektivvertrag – also mit Zustimmung der Gewerkschaft – möglich. Nun wird der Kollektivvertrag völlig ausgeschaltet, wohlwissend, dass der/die einzelne ArbeitnehmerIn eine sehr viel schwächere Verhandlungsposition hat als die Gewerkschaft auf KV-Ebene.
- Die Wochenend- und Feiertagsruhe kann für jede/n ArbeitnehmerIn vier Mal im Jahr durchbrochen werden – entweder mit Zustimmung des Betriebsrats oder, wenn es einen solchen nicht gibt, durch individuelle Vereinbarung. Damit beginnt der Angriff auf den freien Sonntag und gesetzliche Feiertage.
Enorme Machtverschiebung
Diese Änderungen bringen eine enorme Machtverschiebung zugunsten der Kapitalseite. Arbeitsrechtsexperte Martin Risak: „Das Radikalste am Entwurf ist die Ermöglichung des Zwölfstundentages und der 60-Stunden-Woche, ohne dass die Kollektivvertragsparteien oder Betriebsräte irgendetwas mitbestimmen können.“ (Standard, 17.6.2018). Erwin Zangerl, AK-Präsident von Tirol, benennt offen, dass nun die Industriellenvereinigung völlig das Ruder in der Regierungspolitik übernommen hat: „Als christlich-sozialer schwarzer Arbeitnehmervertreter schäme ich mich für diese neoliberale Politik, die diese unsozialen Türkisen derzeit betreiben. Die Industrie hat vor den Wahlen in die Regierung investiert und verlangt jetzt ihren Anteil“.
Versauen wir ihnen die Party!
Die GPA hat vor der Wahl alle Parteien befragt, ob sie die tägliche Höchstarbeitszeit ausdehnen wollen. Die Antwort der FPÖ: „Wir planen als Parlamentspartei keine Ausdehnung der täglichen Höchstarbeitszeit.“ Der wievielte Wählerbetrug der Blauen ist das mittlerweile? Die vorgebliche Partei des „kleinen Mannes“ betätigt sich wieder einmal als Steigbügelhalter für die große Industrie und die EU-Kommission. In den Chefetagen knallen jedenfalls die Sektkorken. Nur unser Widerstand und eine Gewerkschaft, die sich darauf besinnt, dass sie eine Kampforganisation ist, kann ihnen noch die Party versauen.
(18.6.2018)
Quelle: https://www.solidarwerkstatt.at/arbeit-wirtschaft/arbeiten-ohne-ende