Keine Reichen-Rettung mit der Gießkanne

sozialer und ökologischer Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft

Vier Gedanken zur Wirtschaftskrise

 

  1. Corona- und Finanzkrise

Auf den ersten Blick gibt es große Unterschiede zwischen der Finanzkrise von 2008 und der aktuellen, durch die Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise. Die Krise von 2008 entsteht durch die langfristigen Tendenzen des finanzialisierten Kapitalismus: Ungleiche Einkommensverteilung, struktureller Unterkonsum und strukturelle Unterinvestitionen, die durch Vermögenspreisblasen und ausufernde Kreditvergabe abgefedert werden – und schließlich Überschuldung und Fehlinvestitionen. Völlig unabhängig von esoterischen Finanzmarktprodukten und riskant finanzierten Banken: 2007 waren 10 Prozent der spanischen Erwerbstätigen mit dem Bauen von Häusern beschäftigt, die niemand gebraucht hat. Normalerweise wären das fünf Prozent. Als offensichtlich wurde, dass eine Million leerstehende Wohnungen tatsächlich nicht verkauft werden könnten wurden gleichzeitig diese zehn Prozent der Arbeitsplätze überflüssig. Unter solchen Umständen konnten auch nicht die normalen fünf Prozent der Beschäftigung gehalten werden – weil zu viel Unverkäufliches quasi „auf Lager“ lag.

2020 haben aber weder Wien noch Sevilla Überkapazitäten in der Gastronomie. Es hat keine Wirtshausblase gegeben und keine Friseurspekulation. Es gibt einfach einen pandemiebedingten Nachfrageschock und möglicherweise einen Angebotsschock in der Industrie (unklar wie schwer oder langfristig), weil Betriebsschließungen die Zulieferketten durcheinander gebracht haben.

Gleichzeitig gibt es aber auch Ähnlichkeiten zwischen 2008 und 2020. 2008 sind Kredite im Immobilienbereich ausgefallen, in größerem Ausmaß. Und weil im Finanzsystem jeder jedem Geld borgt, kann das eine Kette von Unternehmenszusammenbrüchen auslösen. Diese wird durch eine Panik verstärkt: weil sich viele kurzfristiges Geld ausgeborgt haben, um langfristige Anlagen zu tätigen, müssen sie ihre Schulden ununterbrochen neu ausborgen. Ist die Panik groß genug, dann funktioniert das nicht mehr und alle sind pleite.
Auch 2020 werden die Zahlungs- und Schuldenketten unterbrochen: Der Kreuzfahrt-Anbieter Carnival Cruises hat in Miami seine Firmenzentrale vom amerikanischen New Economy/Immobiliengiganten WeWork geleast. WeWork hat ein idiotisches Unternehmenskonzept, das es notwendig macht sich ununterbrochen Geld von der japanischen Soft Bank Gruppe auszuborgen, die auch einen großen Teil der WeWork Aktien hält. Die Soft Bank Gruppe borgt sich ihrerseits sehr viel Geld von japanischen Banken – und hat als Sicherheit für diese Kredite eigene Aktien hinterlegt. Angesichts dessen, dass für wenigstens ein Jahr niemand ein Kreuzfahrtschiff betreten wird, kann das durchaus Schwierigkeiten machen.

Deswegen ist die Antwort der Staaten und Notenbanken auf die Krise auch ganz ähnlich wie 2008: Die Notenbanken stellen „Liquidität“ bereit. Das bedeutet, dass sie mit frisch geschaffenem Notenbank-Geld Schuldpapiere kaufen, die sonst niemand haben will - und hoffen, dass sie diese irgendwann wieder verkaufen können. Die Staaten übernehmen Kreditgarantien und schütten alle möglichen Förderungen aus – in der Hoffnung, dass es keine großen Unternehmenszusammenbrüche gibt, sich der virusbedingte Wirtschaftsstopp nicht zu einer Finanzkrise auswächst und man nachher ungefähr dort weitermachen kann, wo man im Februar 2020 aufgehört hat.

Das hat eine gewisse Logik. Untätigkeit würde eine gigantische Depression auslösen und wäre auch für die Staatsfinanzen viel teurer. Und eine Finanzmarkt-Panik lässt sich am leichtesten löschen, wenn sie noch kein Großbrand geworden ist. Aber es stellen sich zwei Fragen. Erstens: Diese Politik hat eine Verteilungswirkung: Die Schulden des einen sind der finanzielle Vermögenswert des anderen; gerettet werden damit zuerst einmal die großen Geldvermögen. Und zweitens: Wollen wir wirklich dort weitermachen, wo wir im Februar waren?

 

  1. Eine Umwertung der Werte

Vor der Finanzkrise von 2008 waren der Investmentbanker und die Hedgefonds-Managerin gesellschaftliches Ideal. Die Banker taten „Gottes Werk“ (Zitat Blankfein von Goldman Sachs). Geld verdienen und Werte schaffen war das Gleiche – wer mehr verdient, hat also auch mehr beigetragen. Nach der Finanzkrise sah die Sache schon ein bisschen anders aus, aber gerade der Techno-Entrepreneur (Jeff Bezos, Bill Gates, Elon Musk) wurde neue Ikone. Wer viel Geld hat, scheint immer noch per Definition besondere gesellschaftliche Leistungen zu bringen.
Tatsächlich waren viele Menschen immer schon davon überzeugt, dass es wichtig ist, tatsächlich etwas zur Gesellschaft beizutragen, statt sich nur existierende Einkommensströme unter den Nagel zu reißen – aber mit der Corona-Krise hat das an Bedeutung gewonnen. Weil er eloquenter ist, lassen wir Papst Franziskus sprechen (Predigt zum Palmsonntag): „Das Drama, das wir in diesen Tagen gerade durchleben, drängt uns, die ernsten Dinge ernst zu nehmen und uns nicht in Belanglosigkeiten zu verlieren; wiederzuentdecken, dass das Leben zu nichts dient, wenn man nicht dient. (…) Schaut auf die wahren Helden, die in diesen Tagen zum Vorschein kommen. Es sind nicht diejenigen, die Ruhm, Geld und Erfolg haben, sondern diejenigen, die in Selbsthingabe anderen dienen.“
Heute ist es fast gesellschaftlicher Konsens, dass nach der Krise auf den Krankenpfleger, die Supermarktkassiererin und den LKW-Fahrer, die Helden der Pandemie, nicht vergessen werden darf. Aber die Form der Rettung der Geldvermögen ist ja gerade der Versuch der Eliten nichts zu verändern, die Krankenpfleger mit einer Einmalzahlung abzuspeisen und die Kosten der Krise der Allgemeinheit umzuhängen. Hier tut sich ein Widerspruch auf, auf den unablässig hingewiesen werden muss.

 

  1. Wer gerettet wird muss beitragen – wenn er kann

Als geradezu unglaublich kann die Entwicklung der Aktienkurse angesehen werden: Tatsächlich sind die Kurse der wichtigsten US-Märkte Anfang April auf dem Niveau vom Oktober 2017. Niedriger als zuletzt, aber weit höher als vor der Finanzkrise 2007 (selbst wenn man um die Inflation bereinigt). Und das obwohl Fluglinien wohl noch Monate nicht fliegen werden und eigentlich pleite sind, die Ölfirmen zu aktuellen Preisen nicht überleben können, die Banken bei der emporschnellenden Arbeitslosigkeit auf einer großen Menge fauler Kredite sitzen müssten, der Einzelhandel Probleme bei der Bezahlung seiner Mieten hat und die Besitzer der Einkaufszentren Schwierigkeiten bei der Bedienung ihrer Kredite. Warum dann die hohen Aktienkurse? Weil auf den Staat gehofft wird, der alles bezahlt. Der Staat hat sich transformiert: vom Sozialstaat der 1960er und 1970er Jahre, zum Organisator von Sozialabbau und Privatisierung (seit den 1980er Jahren), bis hin zum Rettungsstaat der großen Vermögen, Hauptantrieb (über billiges Notenbankgeld) und Garantiegeber der Anhäufung von Kapital.

Es scheint keine wirkliche Alternative zu sein, statt dessen einfach alles zusammenbrechen zu lassen und eine große Depression zu veranstalten. Aber die Rettung erfordert zuerst einmal die Beteiligung der Geretteten an den Kosten – vor allem dann, wenn diese dazu durchaus in der Lage sind. Vorsicht: Natürlich hat die Gesellschaft die Pflicht, jene aufzufangen, die in Not geraten. Die Putzfrau in Barcelona, die Kellnerin in Salzburg und der Masseur in Dortmund brauchen Solidarität der Gesellschaft ohne Bedingungen. Staaten und Regionen, die von der Krise härter betroffen sind, brauchen Solidarität und Unterstützung der anderen. (Der wichtigste Aspekt ist dabei wohl der Anteil des Tourismus an der Wirtschaftsleistung.) Aber: Wenn die Geldvermögen gerettet werden, muss es danach eine Vermögensabgabe geben.

 

  1. Statt Rettung mit der Gießkanne die soziale und ökologische Wende – keine Hilfe ohne Bedingungen

Wir benötigen eine weitere Transformation des Staates: Vom Rettungsstatt der Geldvermögen zum Organisator einer sozialen und ökologischen Wende. Es fehlt hier der Platz, um das auszuführen, aber wir brauchen eine Gesellschaft, die für Krankenpflegerinnen, Supermarktkassierer, LKW-Fahrer und den Planeten Erde langfristig funktioniert. Und dieser Umbau muss sofort beginnen, denn die augenblickliche Rettung mit der Gießkanne verbraucht notwendige Ressourcen und versteinert überholte Strukturen.

Tatsächlich sind ja Wirtschaftszweige von der Krise betroffen, die danach genauso gebraucht werden – etwa kleine Unternehmen im Gastgewerbe. Aber genauso leidet jener Sektor der Wirtschaft, der vom Abbau und dem Verbrauch fossiler Energieträger lebt und dringend schrumpfen muss: zum Beispiel die Ölgesellschaften, die von einem Nachfrage-Minus von etwa einem Drittel umgebracht werden; die Kohle- und Gaskraftwerke (samt den Kohle- und Gasproduzenten), die bei einer Abnahme der Elektrizitätsnachfrage um 10 Prozent durch billigere erneuerbare Energien verdrängt werden; die Fluggesellschaften; der Ferntourismus.
Ebenso betroffen sind Sektoren der Wirtschaft, deren Funktionieren für eine sozial gerechte Entwicklung radikal verändert werden muss: etwa der Immobilien- oder der Finanzsektor, die sich in erster Linie damit beschäftigen existierende Einkommensströme umzulenken. (Wenn meine Miete um 500 Euro steigt, würde niemand bei halbwegs klarem Verstand behaupten, dass hier zusätzliche Werte geschaffen wurden. Ich habe lediglich 500 Euro weniger und meine Vermieterin 500 Euro mehr.) Die Tourismusabhängigkeit vieler Staaten ist nicht weniger problematisch.

Als erster Schritt einer sozialen und ökologischen Wende müssen deshalb die Krisenhilfen an harte Konditionen gebunden werden. Ein paar ganz offensichtliche, die wohl auch von den Regierungen gefordert werden – etwa keine Dividenden oder Aktienrückkäufe. Aber es muss darüber hinausgehen: Anpassungen bei Mietzahlungen (damit die Immobilienwirtschaft beitragen muss). Anpassungen bei Kreditkonditionen. Verzicht auf Kündigungen. Investitionen in Energieeffizienz, Innovationen oder in die Ausbildung von Mitarbeitern. Das Schrumpfen und Stilllegen von Kapazitäten, wo diese ökologisch problematisch sind.

Die untere Hälfte der Bevölkerung ist das Hauptopfer der Krise. Hier sitzen die Mehrheit der Arbeitslosen, die Menschen die in zu kleinen städtischen Wohnungen in der Quarantäne sitzen, die Leute die schlechteren Zugang zum Gesundheitssystem haben, schlechter ernährt sind und deswegen häufiger sterben (in den USA haben Afroamerikaner wahrscheinlich eine doppelt so hohe Sterblichkeit – weil sie ärmer sind.) Der Wideraufbau danach muss von ihren Interessen geleitet sein.

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