Die Covid-19-Krise und die „Menschenfalle Krankenhaus“

Ein Fallbeispiel nosokomialer Infektion* mit persönlicher Betroffenheit

Vor Jahren gelangte das Buch des Juristen, Richters und Arztes, Klaus Schöne, mit dem Titel: „Menschenfalle Krankenhaus“ in meine Hände – eine erschütternde und außerordentlich informative Dokumentation über die Kunstfehler der Ärzte in der BRD, in Österreich und der Schweiz sowie ausführliche Berichte über die entsprechende Judikatur (1989). Diese Dokumentation hatte sich an eines der größten Tabus herangewagt: an die Praktiken des modernen Medizinbetriebs. Es erinnerte mich an eine Situation, der ich selber noch glücklich entkommen war, und nicht zuletzt an zahlreiche Erzählungen von Kunden während meiner eigenen beruflichen Tätigkeit.

Zeitensprung: Wir zählen gerade die fünfzehnte Kalenderwoche des Jahres 2020. Ich befinde mich inmitten meiner Recherchen um die Coronavirus-Krise und versuche, die verwirrende Vielstimmigkeit dieser „Causa prima“ zu analysieren, durch die unsere zur Selbst­isolation verordnete Zivilisation weltweit in Atem gehalten wird:

  • Es geht um die widersprüchlichen Infektions- und Sterbezahlen und deren Nichtvergleichbarkeit zwischen einerseits Norditalien, wo „wir eine recht alte Gesellschaft sind und die Familien mit Jung und Alt oft unter einem Dach leben“, wie eine Fachärztin für Infektionskrankheiten aus Mailand schrieb, während die Bevölkerung permanent unter extrem hoher Luftverschmutzung leidet, und andererseits der Bundesrepublik Deutschland, die diesbezüglich erstaunlich gut dasteht, was sich signifikant in den weit auseinan­der klaffenden Zahlen niederschlägt: Bei 148.000 positiv Getesteten in Italien wurden 30.000 geheilt und 19.000 tot gemeldet, in Deutsch­land hingegen bei 122.000 Getesteten 54.000 geheilt und 2.700 tot gemeldet (Stand vom 11.04.2020 laut RKI).
  • Es geht um die Ursachen der plötzlichen Überforderung norditalienischer Krankenhäuser wie in Bergamo und Brescia – „ein Tsunami, der uns überwältigt hat“, schrieb der Mediziner Daniele Macchini aus Bergamo –, allem voran das sträflich ausgedünnte Gesundheits­system infolge der strengen Sparpolitik zur Verringerung der Staatsverschuldung (Austerität), was Deutschland vergleichsweise erspart geblieben ist. Die italienischen Krankenhäuser wurden „kaputtgespart“ und sind daher nicht erst jetzt, sondern in allen Jahren zur Zeit der Grippewelle „chronisch überlastet“ und „in einem erbärmlichen Zustand“ (Prof. Stefan Hockertz, s. u.). Darum musste in manchen Regionen der Lombardei nach Überschreitung der Belastbarkeits­grenze eine Altersgrenze von 60 Jahren für Intensiv­behandlungen eingeführt werden – die sogenannte Triage („Aussortierung“), einer Priorisierung von Patienten mit höherer Über­lebenswahrscheinlichkeit und voraussehbar höherer Lebenszeit als andere. Der Bozener Mikrobiologe und Direktor des Forschungs­instituts EURAC research klagte: „Die Biostatistiker an unserem Institut warnen seit Wochen, dass die Politik viel schneller auf das Virus hätte reagieren müssen.“
  • Es geht um die Debatte der vom Robert Koch-Institut (RKI) anfangs empfohlenen Nichtdurchführung von Autopsien (mit nachfolgend beargwöhnten Motiv-Spekulationen), obwohl Obduktionen schon frühzeitig helfen hätten können, tatsächliche Todesursachen zu klären.
  • Und es geht schließlich um die geheim gehaltenen Datengrundlagen für die beschlossenen – und aufgrund ihrer Rigorosität umstrittenen – Maßnahmen „hinter verschlossenen Türen“ unserer Politiker, weswegen der Gesundheitswissenschaftler Martin Sprenger, bisher Mitglied der CoV-Taskforce der MedUni Graz, aus Protest zurückgetreten ist. Wie von der Tageszeitung Der Standard berichtet wurde, waren seine beiden Forderungen, die „Diskussion so transparent wie möglich“ zu führen und die Taskforce-Protokolle zu veröffentlichen (ORF-Interview am 6. April), „bei Bundeskanzler Sebastian Kurz nicht gut angekommen“; denn dieser sei „auf eine einheitliche Linie ohne Zwischenrufe bedacht“.

Mitten in diese Wühlarbeit hinein platzt eine betrübliche familiäre Nachricht: Mein Onkel Karl, der hochverehrte Letzte der alten Generation meines Vaters, seit langem verwitwet, ist verstorben. Obwohl bereits im neunundneunzigsten Lebensjahr, war er noch erstaunlich rüstig gewesen, wenn auch mit beginnenden Merkmalen von Demenz. Seit über vierzig Jahren lebte er mit einer Angina pectoris, einer anfallsartigen Herzbeklemmung, die er jedoch – mit Notfallsspritze in der Sakkotasche – gut im Griff hatte. (Mein Vater ist daran – von den Ärzten unerkannt – im 68. Lebensjahr an einem solchen Anfall plötzlich verstorben.) Onkel Karl hatte vor fünfzehn Jahren nach einem Sturz eine nicht gleich erkannte Gehirnblutung erlitten, die erst zwei Wochen später operiert wurde und ohne Spätfolgen geblieben ist. Infolge seiner Robustheit pflegte seine Tochter zu ihm zu sagen: „Du bist ein Stalingrad-Kämpfer“, er, der im Zweiten Weltkrieg zur Marine eingerückt war.

Bis zu der vor einigen Wochen „von oben“ verordneten Isolation hatte er noch leichte Spaziergänge unternommen und war bis zuletzt von seiner Tochter täglich besucht worden. Plötzlich passierte es: Durch einen Schwindelanfall kam er auf der Toilette zu Fall und schlug dabei mit dem Gesicht auf dem Heizkörper auf. Blutend wurde er aufgefunden und von der Rettung in das Krankenhaus der kleinen Bezirksstadt gebracht. Es sollte anlässlich der Einlieferung das vorletzte Mal gewesen sein, dass seine Tochter ihn sehen hatte dürfen, denn im gesamten Krankenhaus herrscht absolutes Betretungs- und Besuchsverbot für Angehörige – daher die menschen­leeren Gänge und Aufenthaltsräume. Zwanzig Jahre lang hatte sie ihren Vater betreut, aber nun war sie ausgeschlossen, und er musste – von der Familie isoliert – die beiden letzten Wochen seines irdischen Daseins alleine verbringen. Auch mit einem Mobiltelefon Kontakt zu halten, wurde nicht gestattet.

Die Diagnose lautete: Jochbeinbruch. Es folgten medizinische Routineuntersuchungen, aber nicht nur. Nachdem vergangenen Herbst ein Magengeschwür festgestellt worden war, meinte man offenbar, nun eine Magen-Darmspiegelung durchführen zu müssen – natürlich unter Vollnarkose, verbunden mit künstlicher Beatmung. Dabei wurde – so die anschließende ärztliche Mitteilung an die Familie – Dickdarmkrebs festgestellt, teilweise mit Darmverschluss, so hieß es. Ob operiert werden solle? Die Tochter durfte keine Mitentscheidung treffen. In ihrer Abwesenheit wurde dem Patienten die Situation erklärt und seine Einwilligung eingeholt. Die Operation dauerte fünf Stunden, ein Teil des Tumors wurde entfernt. Die erste Mitteilung danach an die Familie lautete, es sei gut verlaufen. Eineinhalb Tage später wurde sie angerufen: „Ihr Vater liegt im Sterben.“ Die Tochter konnte gerade noch erreichen, ihn kurz besuchen zu dürfen – unter gegen Verkeimung gesicherter Vollschutzbekleidung. Behelmt betrat sie die Intensivstation, dennoch erkannte er sie an der Stimme. „Hast du Schmerzen?“ fragte sie. „Nein“, antwortete er, offenbar unter Einfluss von Morphium. Sie musste ihn wieder verlassen, kurz darauf trat der Tod ein.

Es stellte sich heraus: Obwohl vor der Einlieferung nicht virusinfiziert, war der von dem Sturz verletzte Patient im Krankenhaus durch einen Bettnachbarn angesteckt worden. Der Infektionszeitpunkt konnte einwandfrei festgestellt werden. Die Belegschaft der Station wirkte darum sehr betreten. (Wäre diese erst im Krankenhaus erfolgte Neuinfektion nicht durch den Amtsarzt bestätigt worden, hätte meine Cousine ihr Trafikgeschäft wegen vermeintlicher Infektionsgefahr zusperren müssen.)

 

In diesem Krankenhaus befindet sich nur eine kleine Isolationsstation. Schwere Fälle werden in das Krankenhaus der nächst größeren Bezirksstadt gebracht. Im Totenschein wurde als Todesursache vermerkt: Erstens: Corona-Virusinfektion, zweitens: Dickdarmkrebs. Der Fall geht aber als Covid-19-Todesfall in die Statistik ein; dabei kann man mit dem PCR-Test des Robert Koch-Instituts zwar „einen Coronavirus nachweisen, allerdings nicht speziell Covid-19“, erklärt Prof. Hockertz (s. u.) Zudem ist der Test „nicht validiert – 'vorläufig validiert' ist wie 'ein bisschen schwanger'“. („Endlich wieder wissensbasiert und vernünftig handeln“, wallstreat:online, 31.03.2020).

Die Medien schreiben nichts über Vorerkrankungen, Alter, Belastung durch Vollnarkose im infizierten Zustand und sonstige Kompli­kationen im Zusammenhang mit dem Ableben. Gestorben an dem neuartigen Coronavirus“ und nicht mit ihm“ wird gemeldet – ohne Obduktion. Auch wenn, wie der Hamburger Chefpathologe und Gerichtsmediziner Prof. Dr. Klaus Püschel kürzlich betonte, ein Infiziert­werden bei vorhandenen Vorerkrankungen oder allgemeiner Schwäche hochbetagter Menschen immer nur als „letzter Tropfen das Fass zum Überlaufen“ bringt: „Alle Obduzierten, die wir bisher untersucht haben, hatten Krebs, eine chronische Lungen­erkrankung, waren starke Raucher oder schwer fettleibig, litten an Diabetes oder hatten eine Herz-Kreislauf-Erkrankung.“ (Hamburger Morgenpost, 07. April 2020: „Der Streit ums richtige Maß“).

Meine Cousine raisonniert über diese „Verkettung unglücklicher Umstände“. Ob die Operation (falls die Diagnose in dieser Schwere stich­haltig war – Alterskrebs ist bekanntlich kein unmittelbares Todesurteil) unbedingt notwendig gewesen war? In welcher Form die Ärzte­schaft ihrem Vater bei seinem Zustand die Entscheidung dafür oder dagegen wohl nahegelegt hatte? Es war ihr ja weder Einsicht noch Mitsprache gewährt worden. Oder ob die Fachärzte an dem Fall einfach „lernen“ wollten? Genau dies ist ein Hauptmotiv in Klaus Schönes Buch: Die angehenden Fachärzte haben „zu wenige Fälle“ für die Anzahl der für ihre Ausbildung nötigen Operationen. Darum werden mehr Operationen als erforderlich durchgeführt und den Patienten als „notwendig“ vor Augen geführt. Mein alter väterlicher Freund (er selbst starb im 93. Lebensjahr), der Biologieprofessor und Buchautor meines Verlags, Martin Trentepohl, betrachtete diesen Missstand als Facette des von ihm als „Medizinalkapitalismus“ bezeichneten Syndroms, unter Verweis auf Ivan Illichs provokanten Buch­titel: „Die Nemesis der Medizin. Die Kritik der Medikalisierung des Lebens“. Ursprünglicher Titel (1975): „Die Enteignung der Gesundheit“.

„Aber“, so schloss meine Cousine ihren Bericht, „es hatte wohl so sein sollen. Vati war fast hundert Jahre alt, und es war einfach 'der' Zeitpunkt gekommen.“ Die Beerdigung durfte „aufgrund des Erlasses der Bundesregierung nur im engsten Familienkreis“ stattfinden – und daher ohne meine Familie. Auf der Parte ist zu lesen, dass Onkel Karl, „Raumausstatter i. R., am 5. April 2020 nach einem erfüllten Leben im Glauben an Jesus Christus von Gott zu sich berufen wurde.“

Mögen diese Ereignisse in außergewöhnlichen Zeiten als Anstoß zu unser aller Besinnung dienen.

Fritz Weber, 12. April 2020

ANHANG

*1.  Eine nosokomiale Infektion ist eine Infektion, die im Zuge eines Aufenthalts oder einer Behandlung in einem Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung auftritt.

In einem aktuellen Interview berichtete der Immuntoxikologe Prof. Dr. Stefan Hockertz, dass in Italien jedes Jahr 4.500 bis 7.000 Menschen an nosokomialen Infektionen sterben. Das heißt, sie kommen mit einer ganz anderen Erkrankung ins Krankenhaus, sterben dann aber an diesen Krankenhauskeimen. Zum Beispiel schrieb die Ärztezeitung am 15.11.2018, dass jährlich in ganz Europa neun Millionen an nosokomialen Infektionen erkranken, etwa durch multiresistente Staphylokokken. Darum hält Prof. Hockertz die von der Politik in Deutschland getroffenen Maßnahmen, „ohne eine Exit-Strategie vorher zu bedenken – ein Kardinalfehler“, für „unverhältnis­mäßig, autoritär, rechthaberisch und maßlos“, denn Covid-19 ist „mit der Influenza vergleichbar“, aber „kein Ebola, keine Pocken und keine Pest; und sogar Masern sind gefährlicher“. Statt flächendeckender Maßnahmen, „mit denen wir viel größere Kollateralschäden aufbauen“, sollte unsere „besondere Aufmerksamkeit den fünf Prozent der Bevölkerung, die wirklich gefährdet sind“, zugewendet werden, um diese zu schützen. Aber es sei „Mainstream, die Apokalypse zu predigen“, antwortete er auf die „Cui bono“-Frage, wem dies nütze. „Leider hat sich die Politik nun verrannt. Es hat sich eine Eigendynamik entwickelt, niemand möchte 'zu wenig' gemacht haben. […]
Sie ist falsch informiert worden.“

12-minütiges Interview im Podcast des Senders rs2 94,3 vom 25. März 2020 mit Prof. Dr. Stefan Hockertz (tpi consult GmbH, Freiburg): Das Coronavirus SARS-CoV-2 „ist in seiner Gefährlichkeit mit der bekannten Influenza vergleichbar, die wir schon in früheren Jahren hatten“. Daher seien „die getroffenen Maßnahmen überzogen und ruinieren mehr Menschen als das Virus selbst“.

2.   In Schweden dürfen die Menschen weiterhin in Restaurants und Cafes gehen, auch Schulen und Kindergärten sind nach wie vor offen. Öffentliche Versammlungen sind erst ab mehr als 50 Personen untersagt.

Die schwedische Regierung hält sich an die Empfehlungen des Nationalen Instituts für Volksgesundheit. „Wir bevorzugen freiwillige Maßnahmen, und hier besteht ein hohes Maß an Vertrauen zwischen der Bevölkerung und den Behörden, sodass wir in der Lage sind, Zwangsmaßnahmen zu vermeiden“, erklärte Anders Tegnell, der staatliche Epidemiologe Schwedens, in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Ha'aretz. Um die Infektionsrate zu verlangsamen, wird jeder, der Symptome wie Husten, Halsschmerzen und Fieber entwickelt, aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Das zweite Element der Maßnahmen ist der Schutz der älteren Bevölkerung und der Hochrisikogruppen. Menschen ab 70 Jahren werden gebeten, zu Hause zu bleiben, obwohl sie spazieren gehen dürfen, wenn dies nicht mit einer sozialen Begegnung verbunden ist. Darüber hinaus sind zwar die Kindergärten und Grundschulen noch geöffnet, aber die Universitäten und Hochschulen sind auf Online-Unterricht umgestiegen, und Versammlungen sind auf 50 Personen beschränkt. Bars und Restaurants dürfen nur Kunden bedienen, die an Tischen sitzen, ohne Bedienung an der Bar oder an Stränden. Theater, Kinos und Museen sind geschlossen. Von unnötigen Reisen während der Osterferien sollte abgesehen werden – aber es werden keine Polizei­beamten oder Handyüberwachungen eingesetzt, um die Empfehlungen durchzusetzen. Tegnell hält diese Politik für wirksamer als strengere Verbote, die mit Zwangsmitteln verhängt werden. „Wir glauben, dass das, was wir tun, auf lange Sicht nachhaltiger und effektiver ist“, ist er überzeugt. Die schwedische Armee und die Stockholmer Stadtverwaltung haben gerade ein Feldlazarett im Kongresszentrum fertiggestellt, das insgesamt über 600 Betten verfügt, 30 davon sind für Intensivpatienten vorgesehen. Bislang sind die Intensivpflegeeinrichtungen noch nicht voll ausgelastet. Insgesamt hat Schweden seine Intensivpflegekapazitäten bereits verdoppelt, und die Region Stockholm ist auf dem Weg, die Kapazitäten zu verdreifachen und zu vervierfachen.

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