„unser Hohepriester nützt Corona zu autoritären Maßnahmen“

Rede am Ersten Mai 2020 Rathausplatz

Meine Damen und Herren,

liebe Freundinnen und Freunde,

liebe Genossinnen und Genossen!

Die letzten sechs Wochen – ca. seit 15. März – haben gezeigt, auf wie wackligen und zerbrechlichen Beinen unsere demokratische Republik steht.

Schreckensbilder aus Italien, wo ein durchaus gefährliches Virus auf eine vielfach geschwächte, im Feinstaub lebende, teilweise lungenkranke Bevölkerung trifft und das ohnehin kaputtgesparte Gesundheitssystem zusammenbrechen lässt, erzeugen bei uns Angst durch ausgewählte Bilder, durch Statistiken mit unüberprüfbaren Zahlen, durch Sterbeziffern ohne näher beschriebene Todesursachen.

Angst und Panik werden verbreitet mit Methoden des NLP und ähnlicher Psycho-Tricks, die seit Jörg Haider bekannt sind, von Kickl und Hofer verfeinert und von unserem Hohepriester nun auf den neuesten Stand der Wirksamkeit gebracht wurden. Die Bundesverfassung aus 1920 in der Fassung von 1929 ist dabei nur „juristische Spitzfindigkeit“. Bedingungslose Zustimmung zur Demokratie in unserer Republik Österreich schaut anders aus!

Dieser verdächtigen Grundhaltung zu unserer Republik entspricht die sehr eigenartige Feier aus Anlass des 75-Jahr-Jubiläums unserer Zweiten Republik am 27. April: Es fanden Zeremonien vor bzw. im „HELDENTOR“ statt.

Warum aber feiert unsere Bundesregierung diesen Tag im bzw. am „HELDENTOR“ (früher: Äußeres Burgtor)? Das „HELDENTOR“ wurde 1824 errichtet zum Gedenken an den Sieg über Napoleon 1813 bei Leipzig: es hätte zur 10-Jahr-Feier fertig sein sollen, war es aber nicht. Also wurden 11 Jahre gefeiert.

1934 hätte ein Gedenkraum für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges eingeweiht werden sollen – mit einer Marmorskulptur, einen liegenden toten Soldaten darstellend. Die Skulptur war aber nicht fertig – also wurde ein Gipsmodell hingelegt. Gut, meine Lieben, feiern wir also dort, dass Österreich oft zu spät dran ist und nix zeitgerecht fertigkriegt!

Außen am „HELDENTOR“ sehen wir die Lorbeerkränze für (und bezahlt von) Franz Josef I., Wilhelm II., Ferdinand I. von Bulgarien und Mehmed V. des Osmanischen Reiches. Sind das auch vier gute Gründe, dort die Republik zu

feiern?
All das ist nicht historisches Geheimwissen, sondern steht in Wikipedia.

Also: Wäre es nicht doch gescheiter, bei unserem Republik-Denkmal im Schweizerpark zu feiern.

All dies passt zur Achtung vor unserer Demokratie. Ich zitiere aus der „Presse“, die wir früher, ist schon sehr lange her, als das „Zentralorgan des Klassenfeindes“ bezeichnet haben:

Sinngemäß steht dort: Das Covid-Maßnahmengesetz enthält in § 2 eine einfachgesetzliche Ermächtigung, per Verordnung das Betreten von „bestimmten Orten“ zu untersagen. Bei verfassungskonformer Interpretation können damit nur „öffentliche Orte“ gemeint sein. Der private häusliche Bereich ist ja grundrechtlich am stärksten vor staatlichen Eingriffen geschützt. Offenbar hat das der Gesetzgeber ursprünglich genau so gesehen: So steht ausdrücklich in den Erläuterungen zum Covid-Maßnahmengesetz, dass unter „bestimmten Orten“ mit einer „genauen Ortsangabe“, etwa Kinderspielplätze, Sportplätze, See- und Flussufer oder konsumfreie Aufenthaltszonen gemeint seien.

Aber: Die „Betretungs-Verordnung“ verbietet in § 1 das Betreten sämtlicher öffentlicher Orte im gesamten Bundesgebiet, egal ob es eine Fußgängerzone in der Wiener Innenstadt oder ein Wanderweg in den Alpen ist, was durch die Verordnungsermächtigung nicht gedeckt ist. Dann werden in den weiteren Paragraphen sehr restriktiv Ausnahmen gewährt.

Im "Standard" spricht ein ehemaliger Spitzenbeamter laut und deutlich aus, was viele schon vermutet, befürchtet und im kleinen Kreis geäußert haben: Unser Hohepriester und seine Ministranten nutzen die Corona-Krise, um die parlamentarische Demokratie endgültig auszuhebeln. Ganz offen werden Regeln gebrochen, und quasi zwischendurch wird getestet, was die Parlamentarier (auch die der SPÖ!) alles schlucken.

Ich zitiere Manfred Matzka aus dem „Standard“:

Matzka zitiert einen Gesetzestext

"Die Regierung wird ermächtigt, während der Dauer der durch Covid-19 hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse durch Verordnung die notwendigen Verfügungen zur Förderung und Wiederaufrichtung der gesundheitlichen Versorgung, zur Abwehr wirtschaftlicher Schädigungen und zur Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen und Bedarfsgegenständen zu treffen. In den zu erlassenden Verordnungen können Geldstrafen … festgesetzt werden."

und fährt dann fort:

Das kommt uns doch bekannt vor? Das ist doch die Basis der derzeitigen Maßnahmen der Bundesregierung? Mitnichten. Das ist der Text des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917, nur das Wort Krieg wurde durch Covid-19 und wirtschaftlich durch gesundheitlich ersetzt. Jener Gesetzestext also, mit dem 1933 der Rechtsstaat ausgehebelt, die Demokratie zerschlagen wurde und der Austrofaschismus die Macht ergriff.

Weitere Maßnahmen der Regierung erfolgten durch „Erlässe“, was nicht durch die Verfassung gedeckt ist. Matzka weiter:

„Der nächste Akt waren zahllose "Erlässe" vor allem des Gesundheitsministers. Alleine das Wort ist ein schwerer Angriff auf den Rechtsstaat, denn ein Minister hat mit anfechtbaren korrekten Verordnungen zu arbeiten, die eindeutig auf ein Gesetz gestützt sind, und nicht mit nebulosen Anordnungen – eigentlich nur Weisungen an die Beamten –, die man beliebig und willkürlich von heute auf morgen schreiben, korrigieren, auslegen und bei Kritik auch wieder verräumen kann. Der schöne Artikel 18 der Bundesverfassung sei da ins Stammbuch geschrieben: "Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden."

Das ist unserem Hohepriester und seinen Ministranten wurscht, ist eine Spitzfindigkeit. Was mit dieser Spitzfindigkeit angerichtet wird, schreibt mein alter Freund Dieter Schmutzer:

Dieter Schmutzer:

Jetzt erfahren wir: die Ausgangsbeschränkungen waren rechtlich nicht korrekt. Formaljuristisch hätten wir jederzeit – unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes und Maske tragen dort, wo Maskenpflicht besteht, - jederzeit Besuche machen bzw. uns frei in der Öffentlichkeit bewegen können. Mit der „Aufhebung“ von Ausgangsbeschränkungen wird etwas aufgehoben, was es de jure gar nicht gab. 

Hat sich da jemand überlegt, wie viel Unsicherheit, Angst,  Verzweiflung, seelisches Leid bei abertausenden Menschen hervorgerufen wurde, die ihre Familie, Eltern, Großeltern, Kinder, Lebensgefährten, Freunde ... nicht sehen „durften“? Bei allem Verständnis für Schutzmaßnahmen (ja, und die Entwicklung bei uns ist durchaus zufriedenstellend) stellen sich diese – und nicht nur diese – Menschen die Frage: heiligt jeder Zweck alle Mittel? Sind dreiste Unwahrheiten geeignet, um Sicherheitsgefühle zu evozieren? Viele sind über diesen Stil und die Form der Kommunikation verärgert. Und es soll Leute geben, die fühlen sich dadurch echt verar.....

Wie Orbán nutzt unser Hohepriester die Situation massiv aus, sich selbst ins Rampenlicht zu spielen. Eine wirksame Strategie von Kurz ist, Maßnahmen, die von der Bevölkerung bereits durchgeführt werden, im Nachhinein per Gesetz zu verordnen – so zum Beispiel die Markierungen zum Abstandhalten in Supermärkten. Damit erhält der Hohepriester einen hohen Grad von Zustimmung, denn die Menschen freuen sich darüber, dass das, was sie selbst schon tun, nun auch Gesetz ist, dass sie selbst also auf der Seite der Guten, Gescheiten und Gerechten stehen.

Nun führte unser Hohepriester per 1. April die Maskenpflicht ein, kam dann drauf, dass sich das in der Realität nie ausgehen kann, denn woher nehmen?, und stellte auf später um. Und: Wir alle tragen brav die Masken, obwohl auf der Webseite der staatlichen AGES (Agentur für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit) nach wie vor, seit März, und ich habs gestern, am 30.4. 2020, nochmals überprüft, zu lesen steht: Den bedeutendsten Übertragungsweg stellt derzeit direkter persönlicher Kontakt (länger als 15 Minuten, Abstand unter 1 Meter) dar. Im Supermarkt brauchen nicht einmal die ältesten Risikogruppler so lange, das Kleingeld zusammenzukletzeln!

Meine alte Rede: unser Hohepriester nützt die Corona-Panik zu autoritären Maßnahmen. Was die RAF in den 1970er und 1980er Jahren, was die Taliban in den 00er Jahren und der IS in den 10er Jahren nicht geschafft haben, schafft ein Virus: Unter dem Applaus vieler Menschen überschreitet unser Hohepriester bedenkenlos seine verfassungsmäßigen Kompetenzen und marschiert Richtung autoritären Staat. Hatten wir ja hierorts schon ....! Ist noch nicht so lang her, dass das Dollfuß-Bild aus dem Parlamentsklub der ÖVP entfernt wurde; die Erinnerung ist schon noch da ....

Und er macht damit weiter, was er schon seit langem tut, nämlich jeden Staatsbürger grundsätzlich als verdächtig zu erklären. Mit Kickl als Innenminister spielte er mit Handyüberwachung, die auch jetzt wieder aufs Tapet kommt, die großen Unternehmen fördert er nach Kräften, aber die Hackler sollen schauen, wo sie bleiben. Er setzt er seine Politik der Regierung I, nämlich die Großen zu begünstigen und die Kleinen zu beschneiden, ungebremst fort – und, wie gesagt, diesmal mit noch mehr Zustimmung! Eine tolle Leistung eines machtbewussten Herrschers. Mit einem uralten Konzept, mit historischen Vorbildern:

Ich zitiere einen Text aus 1840, von Nikolaus Lenau, aus seinem Versepos Faust.

Mephisto:

Ihr Herrscher über Volk und Land,

Das ist der Klugheit rechter Stand:

Verkümmert stets, doch nie zu scharf,

Dem Volk den sinnlichen Bedarf

Und lenket so all sein Begehren

Nach dem, was ihr ihm könnt gewähren.

So wird es, nach dem Nächsten greifend,

Niemals weitsichtig überschweifend

Nach dem gelüsten frechverwegen,

Was nicht in eurer Macht gelegen.

Das Volk sich gerne selbst belügt,

Es ist am Ende hochzufrieden

Und untertäniglich vergnügt,

Wenn ihm des Zwingherrn Huld beschieden,

Was ohne ihn und seine Kette

Das dumme Volk von selber hätte.

 

Aus: Nikolaus Lenau, Faust. 1840

(zit. nach Nikolaus Lenau, Sämtliche Werke, Briefe. Hrsg. Hermann Engelhard, Stuttgart, Cotta, 1959. S. 478)

Und zu diesem dummen Volk gehört leider auch unsere Sozialdemokratie. In vorauseilendem Gehorsam hat sie alle öffentlichen Maiveranstaltungen abgesagt und sich aufs Internet verlegt. Wie zu Metternichs Zeiten: der brave Kleinbürger bleibt brav und bieder zu Hause! Oder geht höchstens nachmittags in den Prater zum sittsamen Vergnügen! Wenn das die neue Politik ist? Und die neuesten Nachrichten unserer Vorsitzenden vernehmen wir aus dem von mir anfangs zitierten „Zentralorgan des Klassenfeinds“. Ist auch das Teil der neuen Politik?

Ich danke für die Aufmerksamkeit!

Hoch der 1. Mai!

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