Arbeitszeit: Schwarz-blaues Wunschkonzert für Industriellenvereinigung und EU-Kommission

Auch wenn noch nicht alle Details klar sind, so zielt die von ÖVP und FPÖ derzeit verhandelte Arbeitszeitregelung in eine eindeutige Richtung: die Höchstgrenze für die tägliche Arbeitszeit soll auf 12 Stunden, die Höchstgrenze für die wöchentliche Arbeitszeit auf 60 Stunden ausgeweitet werden. Die Sonntagsarbeit soll weiter geöffnet werden und die Mindestdauer für die Arbeitsruhe im Gastgewerbe von 11 auf 8 Stunden reduziert werden. Türkis-blau spielt damit das Wunschkonzert von Industriellenvereinigung und EU-Kommission.

Was soll mit dem neuen Regierungsprogramm kommen:

Höchstarbeitszeit 12-Stunden am Tag und 60-Stunden in der Woche – vom Ausnahme zum Regelfall?

Auch bisher gibt es schon die Möglichkeit, die Höchstarbeitszeit auf 60 Stunden wöchentlich und 12 Stunden täglich auszuweiten. Allerdings ist das laut § 7 Abs. 4 des Arbeitszeitgesetzes nur in Ausnahmefällen erlaubt, etwa bei Arbeitsbereitschaften und Schichtbetrieb, wo es die Zustimmung der Branchengewerkschaft braucht, oder bei „vorübergehend auftretendem besonderem Arbeitsbedarf …zur Verhinderung eines unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Nachteils“, wo die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich ist. Weitere Bedingungen: Das Unternehmen muss die Kollektivvertragsparteien und das Arbeitsinspektorat über die Betriebsvereinbarung informieren. Die maximale Dauer ist begrenzt. Besteht kein Betriebsrat, müssen bis zu zwei Fachgutachten die arbeitsmedizinische Unbedenklichkeit dieser Maßnahmen bestätigen. Der türkis-blaue Vorstoß zielt offensichtlich in die Richtung, die Ausdehnung der Höchstarbeitszeit vom Ausnahme- zum Regelfall zu machen und die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten zu eliminieren. Die Verlagerung der Entscheidung auf betriebliche Ebene bzw. die Umgehung von Gewerkschaft und Betriebsrat verschiebt das Kräfteverhältnis zugunsten der Kapitalseite. Diese Schwächung der Verhandlungsmacht würde den ArbeitnehmerInnen wohl viel Zeit und Geld kosten.

Fazit: „Heute gibt es den 12-Stunden-Tag nur in Ausnahmefällen, künftig soll die Höchstarbeitszeit generell ausgeweitet werden. Das ist in etwa so, als würde man den arbeitsfreien Sonntag mit dem Argument abschaffen, dass KrankenpflegerInnen und BusfahrerInnen schon jetzt am Sonntag arbeiten“ (1).

Entfall von Überstundenzuschlägen?

ÖVP und FPÖ beteuern derzeit, dass die Überstundenzuschläge voll erhalten bleiben. Doch auch das ist nicht sicher. Denn das hängt u.a. davon ab, ob sich bei den Durchrechnungsmodellen etwas ändert. Hier hat die Gewerkschaft schon in der Vergangenheit den Arbeitgebern bedenkliche Zugeständnisse gemacht. Durchrechnungsmodelle ermöglichen, dass die Arbeitszeit je nach Bedarf  flexibel verteilt werden kann, ohne dass Überstunden anfallen: So kann z.B. im Handel in einer Woche 44 Stunden, und in der nächsten Woche nur 33 Stunden gearbeitet werden, ohne dass Überstundenzuschläge anfallen, solange im Durchschnitt 38,5 Stunden nicht überschritten wird. Im Handel beträgt der Durchrechnungszeitraum derzeit maximal ein Jahr.

Fazit: „Hier können bei der Gesetzesänderung noch böse Überraschungen auf uns zukommen. Interessant wird sein, ob nicht entgegen der bisherigen Ankündigungen, Änderungen bei den bestehenden „Durchrechnungsmodellen“ vorgenommen werden. So können Überstundenzuschläge entfallen, ohne dass die gesetzlichen Regelungen zur Bezahlung von Überstunden verändert werden müssten.“ (1)

Weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe

Im Tourismus, in der Hotellerie oder Gastronomie soll die geplante Arbeitsruhe – also die verpflichtende Pause zwischen zwei Diensten- von derzeit 11 Stunden auf 8 Stunden verkürzt werden. D.h. in diesen ohnehin oft außerordentlich stressreichen Berufen kann sich die Zeit zum Schlafen auf wenige Stunden verkürzen.

Fazit: Gerade in der Tourismusbranche gibt es aufgrund der belastenden Arbeitsbedingungen sehr viele Langzeitkranke. Statt dagegen etwas zu unternehmen, sollen die Arbeitsbedingungen noch krank machender gestaltet werden. Die Arbeitgeber freuen sich lautstark über diese geplante Verkürzung der Arbeitsruhe. Wie durch diese Verschlechterung der Arbeitsbedingungen dem von ihnen viel beklagten "Fachkräftemangel" in der Branche entgegen gewirkt werden soll, bleibt ihr gut gehütetes Geheimnis.

Angriff auf den freien Sonntag

Bislang ist die Möglichkeit zu Sonntagsarbeit auf bestimmte Berufsgruppen (z.B. Spitäler, Verkehrsmittel) eingeschränkt. Nun will türkis-blau „vier Mal im Jahr auch auf Betriebsebene Ausnahmemöglichkeit von der Wochenend- und Feiertagsruhe“ermöglichen. Internationale Beispiele zeigen: Das ist der Einstieg, die den arbeitsfreien Sonntag generell in Frage zu stellen.

Gefahr für Gesundheit und Familienleben

Verlängerung der Arbeitszeiten und Verkürzung der Arbeitsruhe haben viele negativen Folgen für die ArbeitnehmerInnen und ihre Familien:
- Beeinträchtigung der Gesundheit: Auch wenn ein 12-Stunden-Arbeitstag durch  kürzere Arbeitstage ausgeglichen wird, so führt das – wenn es zum Regelfall wird - zu eine überproportionalen Belastung von Körper und Psyche der Betroffenen. Denn die Gesundheit bildet keinen Durchschnitt. Eine Studie der MedUni Wien kommt zum Ergebnis: „Der Ermüdungszuwachs während eines Zwölfstundentagdienstes ist dreieinhalbmal höher als an einem arbeitsfreien Tag, außerdem nimmt die Ermüdung bei zwei aufeinanderfolgenden Zwölfstundendiensten weiter signifikant zu.“ Zusatz: „Die Erholung am Tagesrand reicht in diesem Fall nicht aus, um diese Ermüdung sofort auszugleichen.“  Das Resümee der Studie: „Die Tagesarbeitszeit soll acht Stunden nicht überschreiten“(2).
- Gefahr für Leib und Leben: Gerade in Berufen wie in der Baubranche führen überlange Arbeitstage zu einem Anstieg der Arbeitsunfälle. Nach einem 12-Stundentag ist die Gefahr, am Nachhauseweg einen Unfall zu erleiden, doppelt so hoch wie nach einem 8-Stundentag.
- Beeinträchtigung von Freizeit und Familienleben: Die Zerfaserung der Arbeitszeit macht es schwieriger, soziale Beziehungen aufrecht zu halten. Partnerschaften und Familienleben leiden unter dem von den Unternehmen vorgegebenen Druck zu Flexibilisierung und ständigen Verfügbarkeit.
- Zurückdrängung der Frauen aus der Arbeitswelt: Viele Kinderbetreuungseinrichtungen sind heute nicht einmal auf einen 8-Stunden-Arbeitstag ausgerichtet, geschweige denn auf einen 12-Stundentag. Das macht es Menschen mit Betreuungspflichten, insbesondere Frauen, noch schwerer, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. Verschärft wird das durch eine Politik – wie z.B. derzeit in Oberösterreich – wo die VP-FP-Regierung die Nachmittagsbetreuung in den Kindergärten wieder kostenpflichtig macht. Das ist nicht nur eine finanzielle Belastung, oftmals fällt dadurch in ländlichen Gemeinden das Betreuungsangebot am Nachmittag vollkommen aus, weil die notwendigen Gruppengrößen nicht mehr zustande kommen.

Industriellenvereinigung und EU-Kommission treiben an

Der Vorstoß der VP-FP-Regierungsverhandler kommt nicht überraschend. Bereits der Plan A, den Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzenden Christian Kern Anfang 2017 präsentierte, sah die erleichterte Einführung eines 12-stündigen Arbeitstages vor. Arbeitsflexibilisierung und Zurückdrängung von kollektivvertraglichen Regelungen stehen ganz oben auf der Wunschliste der Großindustrie und der EU-Kommission. So lobt der Generalsekretär der Industriellenvereinigung Christoph Neumayer die Arbeitszeitverlängerung als "klugen und wichtigen Schritt im Sinne eines starken, wettbewerbs- und zukunftsfähigen Wirtschaftsstandortes“ (3).
Die Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der EU-Kommission forderte bereits im „Labour Market Development“-Bericht 2012 die „Flexibilisierung der Arbeitszeit“und die „Reduktion von Überstundenzuschlägen“. Angestrebt wird die Zurückdrängung kollektiver Regelungen mit dem Ziel der „Reduktion der gewerkschaftlichen Verhandlungsmacht“ (4) - ein Programm, das die EU-Institutionen, wo immer sie Zugriff auf die nationale Wirtschafts- und Sozialpolitik bekommen – z.B. im Rahmen der sog. „EU-Rettungsschirme“ – brutal umsetzen.

Widerstand leisten – Volksabstimmung über 12-Stundentag!

Österreich hat schon jetzt sehr flexible Arbeitszeitregelungen, die es ermöglichen, auf außerordentliche betriebliche Erfordernisse rasch zu reagieren. Schon jetzt ist der Arbeitsalltag vieler ArbeitnehmerInnen von Überbelastung und Burnoutgefahr geprägt. Eine AK-Befragung von 16.000 Beschäftigten kam zum Ergebnis, dass 90 Prozent sagen, es wäre für sie "sehr oder eher schwierig", wenn der Arbeitgeber jederzeit 12-Stunden-Arbeit verlangen könnte. 74 Prozent der Eltern sehen es als „sehr oder eher schwierig“, 12-Stunden-Arbeitstage mit den Bedürfnissen der Kinder zu vereinbaren. 80 Prozent sind der Ansicht, Sport und Hobbys wären bei 12-Stunden-Arbeitstagen vernachlässigt. Wir haben ein Recht auf ein geregeltes und gesundes Arbeits-, Freizeit- und Familienleben. Treten wir daher den geplanten Angriffen gemeinsam entgegen! 

Der Vorschlag des vida-Vorsitzenden Roman Hebenstreit, der die Abhaltung einer Volksabstimmung über den 12-Stundentag bzw. die 60-Stundenwoche fordert, verdient dabei besondere Beachtung.

Gerald Oberansmayr
(12.12.2017) Erstveröffentlichung www.solidarwerkstatt.at

Quellen:
(1) Ludwig Dvorak, in: „Schwarz-blau: Das droht beim 12-Stundentag“, Kontraste 9.12.2017
(2) https://www.meduniwien.ac.at/web/ueber-uns/news/detailseite/2017/news-im-februar-2017/40-stunden-arbeitswoche-als-gesunde-basis/
(3) APA, 7.12.2017
(4) Europäische Kommission (2012): Labour Market Developments in Europe 2012, European Economy Nr. 5/2012,
(5) https://www.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/arbeitszeit/AK_Online-Umfrage_zum_12-Stunden-Arbeitstag.html

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