Bereits seit dem ersten Lockdown im April 2020 wird von unterschiedlichsten Seiten auf die Dringlichkeit den Schulbetrieb und die Betreuung von Kindergartenkindern kinder- und pandemiegerecht zu gestalten, hingewiesen. Ideen dazu gab es einige: Angefangen von Luftfiltern in allen Klassen und Betreuungsräumen zum Gesundheitsschutz, regelmäßige Testungen aller Schüler_innen und Leher_innen, Unterricht und Tagesgestaltung in Kleingruppen, die Nutzung freistehender Kulturräume für ein angeleitetes Selbststudium der Schüler_innen,…
Aber die konkreten Antworten der Politik sind eher mau: Die Schulen sind im Lockdown, geboten wird ein mehr oder weniger ambitionierter online-Unterricht und Betreuung an den Schulen. Oberstufenschüler_innen sind überhaupt seit November durchgängig zu Hause. Über Kindergärten wird geschwiegen und Berufschulen sowie die Situation von Lehrlingen sind nur peripher Thema. Alles spielt sich online-ab, auch die Freizeit. Denn gemeinsame Aktivitäten der Jugendlichen im öffentlichen Raum sind verpönt. Größere Jugendgruppen im Freien werden rasch mit schiefen Blicken bedacht. Treffen mit Freuden finden daher auch oftmals nur online in Chatforen und statt.
All das zeigt: Kinder- und Jugendrechte und ihre Interesse sind bei der Pandemiebewältigung nachgereiht. Und nicht nur dass; durch den eingeschränkten Betrieb der Schulen vertiefen sich die Bildungsungleichheiten und sozialen Gräben. War das österreichische Schulsystem bereits vor dem Lockdown durch besonders hohe Ungleichheiten geprägt, und beförderte in erster Linie den Statuserhalt akademischer Eliten, so ist diese Kluft nunmehr noch vertieft. Von konkreten Antworten der Politik, die den unterschiedlichen Lebensrealität der Kinder und Jugendlichen Rechnung tragen, fehlt jede Spur.
Natürlich braucht es, wenn das schulische Leben in den virtuellen Raum verlagert ist, digitale Endgeräte um eine Teilhabe zu ermöglichen. Allerdings: Die Digitalisierung der Kinder- und Jugendzimmer alleine ist keine Antwort auf deren Bedürfnisse. Es scheint, Schule als sozialer Raum existiert in den Köpfen vieler Politiker_innen plötzlich nicht mehr. Bei jüngeren Kindern können die Familien den Mangel an sozialen Kontakten – je nach Ressourcen der Familie – kurzfristig abfangen. Aber bei Jugendlichen, für die Gleichaltrige neben den Eltern zunehmend wichtige Bezugsgruppen werden, hat der Verlust von Schule als sozialer Raum auch emotionale Folgen. Wut, Stress, Ängste, Frustration, mangelnde Motivation im schulischen Kontext noch irgendwas zu tun. Die Sorgen und Ängste der Kinder und Jugendlichen sind noch schwerer, wenn die Familie mit Unsicherheiten, wie etwa geringerem Einkommen durch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit konfrontiert sind.
Trotz dieser weithin bekannten Folgen und der sich vehement aufdrängenden Notwendigkeit den Kindern und Jugendlichen gangbare Lösungen für ihre derzeitige Lebenssituation zu bieten – und sie nicht auf die lange Bank zu schieben – fokussieren Bildungspolitiker_innen, beim Versuch Antworten auf die Schulkrise unter Coronabedingungen zu finden nur auf eine einzige Funktion des Schulsystems, die des akademischen Statuserhalts. Moderate Beurteilung oder das wiederholen des Schuljahrs an „Brennpunktschulen“ werden daher als Lösung in den Raum geworfen. Aber darum geht es nicht – zumindest nicht primär. Lernen ist kein rein kognitiver Prozess. Es ist auch ein emotionaler und vor allem sozialer Prozess. Diese beiden Aspekte zu negieren, ist fatal und geht zu Lasten der Kinder und Jugendlichen.
Kinder und Jugendliche brauchen den sozialen Rahmen von Schule. Aufgabe der Politik ist es diesen durch die Herstellung von Rahmenbedingungen die für die Kinder und Jugendlichen und das pädagogische Personal den nötigen Gesundheitsschutz bieten, zu entwickeln. Das ist besonders für jene Kinder und Jugendlichen wichtig, die zu Hause unzureichende oder schlechtere Bedingungen vorfinden, wegen zu kleiner Wohnungen, Stress in den Familien, finanziellen Sorgen, mangelnden Betreuungskapazitäten,…. .
Zur Sicherung der Rechte und Interessen von Kindern und Jugendlichen braucht es sofort finanzielle Mittel und zusätzliche Personalressourcen, welche es erlauben, die soziale Klassengemeinschaft und den geregelten Unterricht unter Einhaltung des nötigen Gesundheitsschutzes, aufrecht zu erhalten. Derzeit stehen an vielen Schulen jedoch personell teilweise sogar geringere Ressourcen zur Verfügung als zu normalen Zeiten. Zeit, das Budget im Bereich Bildung generell aufzustocken!
Die Pandemie wirkte wie eine Lupe auf die Mängel unseres Schulsystems. Rund 5,4% des BIP werden in Österreich für Bildung aufgewendet. Und dieser Anteil stagniert quasi seit 2008. 1.349 Millionen sollen einmalig für digitale Endgeräte für Schüler_innen aufgewendet werden. Das entspricht einer ungefähren temporären Steigerung von 1% des Bildungsbudgets. Ein Tropfen auf den heißen Stein, der an dem System nichts ändern wird.
Wollen wir Chancengerechtigkeit in der Bildung und nicht nur ein System, das den Statuserhalt für Eliten fördert, darf es nicht nur um Noten und „Leistung“ gehen, sondern darum einen gemeinsamen Lern- und Lebensraum von Kindern zu gestalten. Doch dafür sieht die Regierung keine Notwendigkeit.