Gegen die Lobau-Autobahn – das Soziale als Schlüssel zur Mehrheit

Ein paar Überlegungen zum Lobau-Forum am 4.7.21
  1. Die vergangenen Monate waren ein Riesenfortschritt. Es gab die ersten großen Demonstrationen gegen den Lobau-Tunnel und zwar wiederholt. So groß, dass auch die Medien aufgesprungen sind, was wiederum dem Problem mehr Aufmerksamkeit verschafft. Gründe dafür gibt es einige, nicht zuletzt auch eine systematische Arbeit zur Bildung eines Aktionsbündnisses. All das passiert vor dem Hintergrund eines immer größeren Widerspruchs zwischen Klima-Blabla der herrschenden Eliten („Klimamusterstadt Wien“) und einer real völlig konträren Politik – am besten exemplifiziert am S1-Autobahn-Netzwerk. Dieser Spagat ist kaum dauerhaft haltbar und ermöglicht uns unseren Widerstand zu entfalten.
  1. Unser größtes Problem ist die Beschränkung auf den gebildeten linksliberalen urbanen Mittelstand, der auch ein abgegrenztes kulturelles gesellschaftliches Segment darstellt. Anders dargestellt: Die SPÖ Wien versucht unsere Bewegung als „Bobo-Anliegen“ abzutun, als etwas, was die „kleinen Leute“ nicht betreffen würde oder gar gegen ihre Interessen wäre.

    Diese Darstellung gilt es zu entkräften. Wir müssen zeigen, dass sich das S1-System und die Priorisierung der Autoinfrastruktur im Allgemeinen gegen die Interessen der unteren Zweidrittel richtet. So kann man den diesbezüglichen Konsens im Regime (das die SPÖ miteinschließt) von unten brüchig machen und zersetzen. Von oben her, von gewissen aufgeklärten Eliten, wird der allzu große Widerspruch in der offiziellen Politik zwischen Darstellung und Realität durchaus als Problem wahrgenommen, und man sucht nach Korrekturmöglichkeiten, um das neoliberale System zu bewahren (Greenwashing).
  1. Unsere Argumente sind bekannt: die Autoinfrastruktur kommt überproportional den Wohlhabenden zugute, während der öffentliche Verkehr mehr den Unteren dient und öffentliche Investitionen mehr und bessere Arbeitsplätze induzieren. Aber es ist nicht nur das: Das Auto produziert die segregierte Stadt: sozial, funktionell, kulturell. Die Autobahnen führen dazu, dass durch Verlagerung und Konzentration der Betriebe in Ballungsräumen die mittleren Schichten zu immer weiteren Tagespendelstrecken (inkl. Stau) gezwungen werden. Der Lebensraum der Ärmeren wird lebensunwert gemacht, während die Reichen über deren Köpfe nach Suburbia pendeln. Es geht um eine einschließende und lebenswerte Stadt für alle, eine demokratische und soziale Raumplanung – es geht um die Umwelt im umfassenden Sinn. Das was wir jetzt haben und durch die Autobahn-Projekte als Speerspitze repräsentiert wird, ist die neoliberale Desintegration der Stadt und Gesellschaft.
  1. Klingt kompliziert und intellektuell? Eigentlich ist es stark eine kulturelle (und teilweise emotionelle) Frage. Denn die Autoideologie wurde nach unten getragen. Was Bürgermeister Ludwig repräsentiert: der einfache Wiener aus Transdanubien hätte ein Recht auf sein bescheidenes Grün und zu dem soll er mit dem Auto dorthin kommen dürfen – das könne nicht das exklusive Recht des Bürgers aus Klosterneuburg sein. Zudem muss man im Auge behalten, dass das Auto ein wichtiges Instrument ist, der Unterklasse zumindest symbolisch zu entfliehen. Und noch viel mehr, vielfach fehlt das Angebot eines leistungsfähigen öffentlichen Verkehrs überhaupt und die Menschen sind auf das Auto angewiesen.

    Darum dürfen wir das Auto nicht von oben herab attackieren, sondern indirekt klarmachen, dass wir eine andere Ordnung des öffentlichen Raums haben wollen, zugunsten der einfachen Menschen. Man kann das drängende Verkehrsproblem auch ohne Ausbau der Autoinfrastruktur lösen (was viele noch nicht glauben können). Diese Botschaft muss nicht nur inhaltlich passen, sondern muss auch kulturell und symbolisch so designt werden, dass sie angenommen werden kann.
  1. Man kann nicht darauf hoffen, dass sich diese Zielgruppe in einer Straßenbewegung gegen die Autobahn-Projekte aussprechen wird. Aber das ist vielleicht gar nicht notwendig. Es reicht wahrscheinlich, wenn man Repräsentanten, seien es kulturelle oder auch politische, findet und entwickelt, die sich auf unsere Seite stellen. Damit kann man nicht nur einen Teil der Medien auf unsere Seite ziehen, sondern vielleicht auch den Spaltpilz insbesondere in den SPÖ-Apparat tragen. Und sobald dieser nicht mehr einen einheitlichen Block bildet, wird sehr vieles bisher Undenkbares möglich.

    Und wir dürfen nicht vergessen, andere soziale und kulturelle Segmente anzusprechen, wie beispielsweise die Landwirte in Wien und im Umland. Und natürlich auch andere. Es geht um ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher, politischer, sozialer und kultureller Kräfte, das wir in den nächsten Jahren schaffen müssen. Und je länger der Kampf geht, desto größer sind unsere Chancen. Die Zeit spielt für uns.
  1. Vom „grünen“ Infrastrukturministerium ist eine klare Positionierung zu fordern, ob vor einem allfälligen Baubeginn das per Gesetz festgeschriebene Autobahn-Bauprogramm auf seine ökologische, soziale und planerische Sinnhaftigkeit evaluiert wird, oder falls das nicht geschieht, warum nicht...? Damit kann vielleicht auch die grüne Klientel aktiviert und mobilisiert werden.
  1. Was können wir jetzt konkret machen? Eine Idee ist, die Kampagne in die Vorstadt hinauszutragen wie es „Hirschstetten retten“ und „Rettet die Lobau“ teilweise in der Donaustadt schon gemacht haben. Aber jetzt sind wir viel mehr und könnten das systematischer machen, auch in Simmering, in Schwechat etc. in Form von Infotischen oder auch lokalen Kundgebungen und Informationsveranstaltungen. Ein weiterer Schritt könnten öffentliche Bürgerversammlungen sein. Und wir sollten unser Bündnis stärken, mit regelmäßigen Treffen und auch politischen Veranstaltungen. Und natürlich müssen die Straßendemonstrationen, zentralen Kundgebungen weitergehen.

 

Gerhard Hertenberger und Willi Langthaler