Die Schnellbahnlinie S45

Oder: Der halbherzige Umgang mit den Öffis in Wien

In der aufgeflammten Diskussion um die Lobau-Autobahn spielen natürlich auch die Alternativen in Form der öffentlichen Verkehrsmittel eine wichtige Rolle. Dabei ist auffällig, dass es viele gute Ideen und Konzepte gab, um die Gebiete beiderseits der Donau besser zu erschließen. Nur ein Teil davon wurde umgesetzt. Das lässt sich auch am Beispiel der S45 zeigen.

Zur Geschichte der Vorortelinie

Die Vorortelinie, die Heiligenstadt und Hütteldorf über Hernals und Ottakring verbindet, war als Teil des Wiener Stadtbahnsystems konzipiert.  Sie weist stellenweise den Charakter einer Gebirgsbahn auf und verfügt über vier Tunnels. 1898 wurde sie nach viereinhalb Jahren Bauzeit eröffnet.

Die Vorortelinie war dabei lange Jahre für den Güterverkehr bedeutender als für den Personenverkehr. So wurde damit das Wilhelminenspital mit Kohle versorgt und es gab Gleisanschlüsse zu den Unternehmen Julius Meinl, Österreichische Tabakregie und Manner. Das Fahrgastaufkommen war eher gering, sodass die Strecke 1925 – im Gegensatz zum restlichen Stadtbahnnetz – nicht von der Gemeinde Wien übernommen wurde. Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sporadisch Bäderzüge geführt. In den 1950er-Jahren wurde der Personenverkehr gänzlich eingestellt, doch die Forderungen nach einer Wiederinbetriebnahme verstummten nie.

Es sollte bis 1979 dauern, dass Stadt Wien und ÖBB die Integration der Vorortelinie in das Schnellbahnnetz beschlossen. Die Stationen wurden renoviert, die Strecke wurde elektrifiziert und wieder zweigleisig ausgebaut. Diese Arbeiten dauerten übrigens länger als die ursprüngliche Errichtung, sodass die sogenannte S45 erst 1987 zwischen Heiligenstadt und Hütteldorf in Betrieb ging. Die Verlängerung der S45 zur S- und U-Bahn-Station Wien Handelskai im Jahr 1996 und die Verknüpfung mit der U3 in Ottakring (1998) führten zu einem massiven Anstieg der Fahrgastzahlen, weshalb der Takt kontinuierlich verdichtet wurde.

Schnellbahnring um Wien

Fast so alt wie die Forderung nach der Inbetriebnahme der Vororteline ist auch das Konzept des Schnellbahnringes um Wien. Wie obige Grafik zeigt, könnten Züge über die Vorortelinie (Heiligenstadt bis Penzing), über die Verbindungsbahn (Penzing – Meidling) und die Donauländebahn (West-Ost-Verbindung im Süden des Stadtgebiets) verkehren, um über die Donauuferbahn (entlang des rechten Donauufers) wieder nach Heiligenstadt zu führen. Nachdem die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Winterhafenbrücke 2008 wiedererrichtet wurde, war das letzte „missing link“ für diesen Schnellbahnring geschlossen. Denn diese Brücke verbindet den Hafen Freudenau über den Donaukanal mit der Donauländebahn. Eine andere Variante solch eines S-Bahnringes würde über die Haltestelle Simmering zum Praterkai verlaufen.

Obwohl der Wiener Gemeinderat 2018 einstimmig für die Umsetzung von Teilen des Rings votierte, wurde von offizieller Seite das Projekt Schnellbahnring nie ernsthaft vorangetrieben. Das kann daran liegen, dass es in Konkurrenz zu einem anderen Konzept steht: ÖBB und Stadt Wien verfolgen nämlich die Idee einer „zweiten Stammstrecke“ (die ursprüngliche Stammstrecke ist die Schnellbahntrasse von Floridsdorf nach Meiding). Diese zweite Transversale soll auf der alten Westbahnstrecke bis Hütteldorf verlaufen, dann auf der Verbindungsbahn weiter nach Meidling führen und auf der Strecke der S80 Richtung Flugfeld Aspern führen.

Was steht im alten Wiener Masterplan Verkehr?

Im Masterplan Verkehr 2003 bzw. dessen Fortschreibung aus dem Jahr 2008 waren schon eine Reihe von Öffi-Projekten vorgesehen, die in einem gewissen Zusammenhang als Alternative zur Lobau-Autobahn gelten könnten, aber immer noch nicht umgesetzt wurden:

  • Verlängerung S45 vom Handelskai zum Praterkai sowie Errichtung der Station Unterdöbling: Die Station Unterdöbling würde die S45 mit einer Straßenbahnlinie (37) und zwei Buslinien verknüpfen. Mit der Verlängerung der S45 entlang der Donau könnten Umsteigeverbindungen zur U1, U2 und S80 ermöglicht werden. Auch die AK Wien fordert diese Erweiterung. Keines der beiden Bauvorhaben wurde verwirklicht.
  • Ausbau des Marchegger Astes (Elektrifizierung, zweigleisiger Ausbau): Diese Strecke wird tatsächlich ausgebaut. Allerdings fährt die S80 gerade einmal im Halbstundentakt. Ein weiterer Wermutstropfen: Die beiden Stationen Lobau und Hausfeldstraße (Anbindung an U2 und Straßenbahn 26) wurden inzwischen geschlossen.
  • Verknüpfung der Ostbahn (nördlicher Ast) mit der Linie 26 (Gewerbepark Stadlau): Auf dem erwähnten Streckenteil fährt zwischen Erzherzog-Karl-Straße und Gerasdorf überhaupt kein Nahverkehr. Es exisitieren auch keine Stationen. Dadurch gibt es weder an die Straßenbahn, noch an die Gewerbegebiete Kagran (z.B. IKEA Nord) und Stadlau eine Schnellbahnanbindung.
  • S7-Verlängerung über Wolfsthal nach Bratislava: Diese wird wohl nie gebaut werden.
     
  • Verlängerung der U6 bis Stammersdorf: Während im Masterplan aus dem Jahr 2003 noch die Anbindung der Klinik Floridsdorf und die Verlängerung der U6 bis Stammersdorf vorgesehen war, ruderte man schon bei der Fortschreibung fünf Jahre später zurück. Inzwischen ist dieses Projekt völlig aus allen Planungen verschwunden.   
  • Straßenbahnlinie von Floridsdorf über Zentrum Kagran bis Eßling/Groß Enzersdorf: Seit vielen Jahren endet die Straßenbahnlinie 25 in Aspern.
  • Errichtung der Straßenbahnlinie 27 Großjedlersdorf – Siemensstraße – Kagran: Diese Bim gibt es nicht. Das soll sich ab 2023 ändern.
  • Verlängerung der Straßenbahn bis Schwechat: Auch über diese Linie wird seit vielen Jahren diskutiert. Der Umsetzungshorizont ist unbekannt.

Fazit

Nicht nur die Lobau-Autobahn hat eine unendliche Geschichte, sondern auch deren Alternativen. Hier rächt sich, dass sich die Wiener Stadtverwaltung seit Jahrzehnten auf den kostspieligen U-Bahnausbau konzentriert und die Verkehrsmittel Straßen- und Schnellbahn vernachlässigt. Diese werden aber bei der Bekämpfung der Klimakrise immer wichtiger werden.