Um Lobauautobahn, Marchfeldautobahn und Stadtstraße wird derzeit wild gestritten. Viele wesentliche Aspekte sind der Bevölkerung und anscheinend auch der Politik unbekannt (etwa, dass die Hälfte aller Rettungsstollen des Lobautunnels von der ASFINAG weggestrichen wurden, um Geld zu sparen), und es kursieren diverse Mythen.
Ein besonders origineller Aspekt ist der Schmäh der Wiener Stadtregierung rund um den Begriff „Stadtstraße“. Umweltschützer sagen, dass es sich um eine de facto Autobahn handle. Die Planungsstadträtin und Biologin Ulli Sima hingegen (übrigens eine Studienkollegin von mir) bezeichnete in ihrer Pressekonferenz vom 9.12.2021 im Eröffnungsstatement das Projekt wörtlich als „normale Gemeindestraße“. Was ist nun richtig?
Erschließungsstraße B 3d
Blicken wir kurz zurück: 1992 kaufte die Stadt Wien das Areal des einstigen Flugfelds Aspern als potenzielles Stadterweiterungsgebiet, treibende Kraft war damals der Wiener Vizebürgermeister Hans Mayr. Die Rathauskorrespondenz vom 14.12.1993 zitiert Mayr mit den Worten, dass die „dringend notwendige B 3d als Aufschließungsstraße zum ehemaligen Flugfeld Aspern im Gesetz verankert werden“ solle. Dabei handelte es sich um eine normale Bundesstraße mit einer Spur pro Richtung und Kreuzungen (Ampel oder Kreisverkehr). Sie war auch als Entlastung der Ortskerne von Aspern, Essling und eventuell Großenzersdorf gedacht, da sie vom Bereich der Schnellbahnstation Erzherzog-Karl-Straße entlang des Marchegger Asts der Ostbahn verlaufen und in oder östlich von Großenzersdorf in die existierende B3 einmünden sollte.
Geplant war im Bereich des einstigen Flugfelds Aspern ursprünglich ein relativ modernes Stadtviertel, das verstärkt auf Öffis und Radwege setzt. Ende der 1990er Jahre wurde deshalb auch die U2-Verlängerung Richtung Seestadt angedacht und einige Jahre später beschlossen.
Um die Jahrtausendwende war vielen Fachleuten längst klar, dass Hochleistungsstraßen, Bodenversiegelung und zunehmender Verkehr in eine Sackgasse führen. Schauen wir zum Beispiel in den „Masterplan Verkehr 2003“ der Stadt Wien. Auf Seite 23 lesen wir, dass - wie bereits im Stadtentwicklungsplan 1994 ausgeführt - Stadterweiterung nur entlang hochrangiger Öffis erfolgen dürfe. Kritisiert wird (Seite 28), dass die in Österreich durch den Verkehr emittierten CO2-Emissionen von 1990 bis 2000 um 29 Prozent (!) gestiegen seien, anstatt zu sinken, obwohl sich Österreich im Kyoto-Abkommen zu einer Reduktion der CO2-Emissionen um 14 Prozent im Zeitraum von 1990 bis 2010 verpflichtet hat. Bereits 2003 war also klar, dass hinsichtlich Klimawandel und Verkehr der Hut brennt.
Die Autobahn-Planungsapokalypse
In der Wiener Stadtpolitik war dies weniger klar. Im Jahr 2001 wurde das Ressort „Planung und Zukunft“ (bisher Bernhard Görg) und „Verkehr“ (Fritz Svihalek) zum Ressort „Stadtentwicklung und Verkehr“ fusioniert und von Rudolf Schicker übernommen. In den Folgejahren fiel in Abstimmung von Bund und Land der Beschluss, die Südosttangente A23 als Autobahn (!) bis zur Seestadt zu verlängern und von dort weiter bis zum Knoten Raasdorf zu führen, wo eine Vernüpfung mit der Lobauautobahn S1 entstehen solle. In den Folgejahren wurde knapp nördlich ein weiterer Autobahnknoten hinzugeplant, als Verknüpfung mit einer Marchfeldautobahn S8, welche künftig den LKW-Verkehr von Bratislava nach Wien schleusen würde. Die Seestadt Aspern hatte damit plötzlich nicht nur eine, sondern gleich zwei Autobahnauffahrten im Nordosten und Nordwesten erhalten. Schluss mit den schönen Versprechungen eines ökologisch ausgerichteten Stadtteils.
Eine Broschüre der ASFINAG aus dem Jahr 2006 (besten Dank an die ASFINAG für die Abdruckerlaubnis!) zeigt das damalige Projekt. 2007 wurde es der Bevölkerung ausführlich präsentiert (siehe Abbildung). Die Ähnlichkeit zum Projekt „Stadtstraße“ ist verblüffend. Und das ist kein Zufall.
Die schön geredete Beinahe-Autobahn
Ab 2010 gab es bekanntlich eine rot-grüne Stadtregierung, und vom grünen Koalitionspartner wurde die Verlängerung der Südosttangente A23 vehement bekämpft. Während die grüne Basis, insbesondere im Bezirk Donaustadt, durchgehend bis heute eine Hochleistungsstraße ablehnt, war der Druck der politischen Betoniererfraktion auf die grüne Wiener Parteispitze schließlich so groß, dass diese, vom Koalitionsbruch bedroht, einknickte und einem seltsamen Kompromiss zustimmte. Es blieb bei einer vierspurigen (bei Auffahrten sogar sechsspurigen) Hochleistungsstraße, de facto kreuzungsfrei wie bei einer Autobahn, allerdings ohne Pannenstreifen, und die Fahrgeschwindigkeit wurde auf 50 km/h reduziert. Also eine Art „Langsamfahr-Autobahn“. Nicht nur bei Stau würde man also langsam fahren, sondern immer, auch ohne Stau.
Das Problem: Der Flächenverbrauch wäre weiterhin gewaltig, Grünflächen und Erholungsräume würden durch Lärm und Abgase zerstört und zerschnitten werden, und die Verbindung vom Marchfeld (bzw. von Bratislava) Richtung Wiener Innenstadt würde die Südosttangente noch mehr mit Pendler-PKWs und LKWs fluten. Tatsächlich wollen ja die meisten KFZ nach Wien oder kommen aus Wien, nur ein kleiner Teil ist wirklicher „Transit“, der an Wien vorbei will. Die ausländischen Kennzeichen an den Lastkraftwagen täuschen. Wer Hochleistungsstraßen sät, wird zusätzlichen Verkehr ernten.
Um dieses absolut unökologische Projekt schönzureden, wurde für diese „Langsamfahr-Beinahe-Autobahn“ der Begriff „Stadtstraße“ geboren. So, als hätte diese Hochleistungsstraße irgendetwas mit einer Straße in Ottakring oder Hietzing gemeinsam.
Zwingt uns der UVP-Bescheid zum Bau des Projekts?
Die Behauptung von Ulli Sima (z.B. in der Pressekonferenz vom 9.12.2021), dass die Umweltverträglichkeitsprüfung für die Neubausiedlungen in jener Region eine solche „Hochleistungs-Stadtstraße“ zwingend voraussetze und vorschreibe, ist ebenso ein Schmäh. Im UVP-Bescheid stand ursprünglich, dass Nachtarbeiten und Wochenendbauarbeiten explizit untersagt sind. Die Stadt Wien erkannte dann jedoch, dass die Seestadt monatelang vom Öffi-Verkehr, nämlich sowohl von der Linie U2, als auch von der Schnellbahnlinie S80 abgeschnitten sein würde (weil man die Öffi-Brücken über die „Stadtstraße“ komplett neu bauen müsste). Um diese „Öffikatastrophe“ auf wenige Monate zu reduzieren, wurde im UVP-Verfahren ein Änderungsantrag eingereicht, der Bauarbeiten rund um die Uhr, sieben Tage die Woche erlaubt. Und es wurde bewilligt. Ebenso kann man einen Änderungsantrag einbringen, um die überdimensionierte Langsamfahr-Beinahe-Autobahn in eine normale, wesentlich kostengünstigere Erschließungs-Bundesstraße mit optimierter Trassenführung umzuwandeln. Aber das ist ein anderes Thema, für einen anderen Artikel.
(Dieser Artikel erschien ursprünglich auf der Webseite meinbezirk.at)