Anfang November veröffentlichte die scheidende österreichische Bundesregierung einen Plan zur Klimapolitik. Außer des Umbaus autobezogener Steuern enthält er praktisch nichts greifbares und wird von der nächsten Bundesregierung überarbeitet werden. Daher lohnt der Blick nach Deutschland – wo ein ebenfalls viel kritisiertes, aber doch deutlich konkreteres „Klimaschutzpaket“ beschlossen wurde. Die Vorbildwirkung wird für Österreich bedeutend sein.
Einige Eckpunkte des deutschen Klimapakets klingen durchaus vernünftig: Bepreisung von CO2, bei gleichzeitiger Verwendung der Mittel zur Reduktion des Strompreises und gleichzeitigem Schutz der Pendler im ländlichen Raum. Forschungsförderung. Ausbau der Bahn und billigere Fahrscheine. Auflagen für die Düngerverwendung in der Landwirtschaft und Sammlung von Deponiegasen. Gebäudesanierung. Ladestationen für Elektroautos…
Angesichts der dramatischen Eskalation der globalen Krise greifen diese Maßnahmen aber viel zu kurz. Grundsätzlich sind bereits die Klimaziele der Bundepolitik zu wenig ambitiös – aber zusätzlich gibt es praktisch Niemanden, der glaubt, dass diese Ziele mit den gewählten Mitteln erreichbar wären. CO2 wird bepreist, aber so wenig, dass kaum eine Verhaltensänderung zu erwarten ist (erst 2025 wird ein Liter Diesel um 9 Cent teurer). Und die Investitionspläne sind so bescheiden, dass man sie kaum bemerken wird. Letztlich bleibt damit alles beim Alten: Man verkündet Klimaziele, zögert in der Umsetzung und hofft auf einen Techno-Messias, der ohne größere Umbrüche und größere Kosten alles zu retten vermag. Tesla-Vorsitzenden Elon Musk, oder die Elektroautoentwickler bei VW zum Beispiel. Der britische Premierminister Boris Johnson hat sogar den Fusionsreaktor beschworen, der seit den 1960er Jahren etwa 10 Jahre von der Umsetzung entfernt ist.
Das entspricht dem Willen den gesellschaftlichen Konsens in der Klimapolitik zu halten, niemandem weh zu tun und besonders die Interessen der deutschen Exportindustrie zu schützen. Gleichzeitig ist aber auch die grundlegende Ausrichtung der Klimapolitik problematisch: Letztlich sollen die Unter- und Mittelschicht das Meiste bezahlen. Nur durch das bescheidene Ausmaß („dreistelliger Milliardenbereich“ bis 2030, wahrscheinlich also gut 10 Milliarden pro Jahr, bei einem BIP von 3.500 Milliarden) wird das wenig sichtbar. Alles soll budgetneutral erfolgen, also alle Investitionen und die Senkung des Strompreises durch die CO2-Bepreisung finanziert werden. Einen Teil zahlt die Industrie, der Großteil wird Privathaushalten an der Tankstelle oder beim Heizen verrechnet. Heizen und tanken – das trifft die Armen und die ländlichen und suburbanen Mittelschichten.
Für sich genommen mag das kein gewaltiges Problem sein. Steuern sollen steuern und bestimmtes problematisches Verhalten (Autofahren…) weniger attraktiv machen. Aber es reiht sich in eine Geschichte neoliberaler Steuer- und Ausgabenpolitik seit den 1980er Jahren ein, wo sich die Spitzeneinkommen, Großvermögen und internationalen Konzerne der Besteuerung entziehen – und der Rest alles bezahlt.
Hier liegt auch die Tradition deutscher Klimapolitik. Anfang des Jahrtausends wurde unter rot-grün das Erneuerbare-Energie-Gesetz verabschiedet, das großzügige Förderungen für Solar- und Windstrom vorsah. Zurückhaltend war diese Maßnahme nicht – im Gegenteil, wurde dadurch der internationalen Solarindustrie ein erster wichtiger Schub verliehen. Heute ist Sonnenstrom in vielen Weltgegenden (allerdings nicht in Deutschland) die billigste Energiequelle. Aber gleichzeitig war die Verteilungswirkung problematisch, die üppigen Renten für Solarparkbetreiber (und die kurzen Riesenprofite deutscher Solarunternehmen, bevor diese angesichts chinesischer Konkurrenz Pleite gingen) wurden auf die Stromrechnung der Haushalte abgewälzt. Auch ökologisch hat das negative Folgen, denn die überhöhten Strompreise verhindern etwa die Elektrifizierung der Gebäudewärme über Luft-Wärme-Pumpen.
Aufgrund ihrer Schwächen wurde die deutsche Klimapolitik dann auch massiv kritisiert. Und weil die Klimakrise endlich im öffentlichen Bewusstsein angekommen ist, haben diese Warnungen einiges politisches Gewicht. Das Problem liegt aber daran, dass vor allem das bescheidene Ausmaß, weniger die Stoßrichtung, der Klimaschutzmaßnahmen kritisiert wird: CO2 müsse viel teurer werden. Inlandsflüge verbieten. Fleisch besteuern. Nichts davon ist für sich falsch – aber insgesamt bleibt damit der Klimaaktivismus auf kulturell linksliberale Mittelschichten beschränkt.
Ein Teil der Bewegung ist Bestandteil der Eliten und wünscht sich letztlich die aktuelle Umwelt- und Klimapolitik – nur eben mehr davon. Ein anderer Teil wünscht einen radikalen Systemwechsel („system change not climate change“, oder die „extinction rebellion“), hat aber keine Vorstellungen, wie das politisch umzusetzen wäre. Unterstützt wird man dabei von einem kritischen sozialwissenschaftlichen Apparat, der gutklingende akademische Phrasen drischt, aber letztlich die Isolierung verstärkt. Das grundlegende Neudenken des Mensch-Naturverhältnisses, oder das Gerede über das Ende des Wachstums, interessiert Niemanden außerhalb des Ghettos aus kritischen Bildungsbürgern.
Wenn dann die Revolte der französischen Gelbwesten an einer „ökologisch“ gekennzeichneten Benzinpreiserhöhung aufbricht, oder die norwegischen Unter- und Mittelschichten sich wegen der Stadtmauten für Autos mit Verbrennungsmotor empören, muss sich der Klimaaktivismus angewidert abwenden. Nur sind die Gelbwesten keine Feinde des Klimaschutzes – sie haben nur keine Lust schon wieder alles allein zu bezahlen.
Was wir brauchen ist eine breite politische Bewegung, die soziale mit ökologischen Forderungen zu verbinden vermag. Die die Zerstörung der Lebensgrundlagen ebenso aufgreift, wie die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts.
Die Bekämpfung der Klimakatastrophe ist im Detail kompliziert, aber in den großen Grundzügen verhältnismäßig einfach: Agrar- und Außenhandelspolitk müssen eine nachhaltige Landwirtschaft erzwingen. Die Energieeffizienz muss gesteigert werden (öffentlicher Verkehr, Vermeidung unsinniger Transportwege…) Verkehr- und Gebäudeenergie muss elektrifiziert werden. Und die Elektrizität muss aus CO2-neutralen Quellen kommen. Die Basistechnologien dafür sind weitgehend vorhanden und verbleibende Schwierigkeiten lassen sich in den nächsten 10 Jahren wohl lösen. Was vor allem fehlt, sind große Investitionen, wahrscheinlich im Ausmaß von zwei oder drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist nicht besonders viel: die USA haben für den mörderischen Vietnamkrieg 10 Prozent des BIP ausgegeben (am Höhepunkt) und für die idiotische Mondlandung über mehrere Jahre drei Prozent.
Von selber wird der Privatsektor diese Summen aber nicht aufbringen – oder nur dann, wenn über staatliche Regulierung und Subventionierung Investitionssicherheit gegeben ist und ausreichende Renditen winken. Egal was über das mögliche Potential grüner Technologien gedacht wird (gerade erneuerbare Energieträger sind nicht nur klimafreundlicher, sondern können mittelfristig schlicht billiger sein) – konfrontiert mit längerem Zeithorizont und echter Unsicherheit neigt der Privatsektor zur Untätigkeit. Weil das Risiko zu schlecht kalkulierbar ist.
Klimapolitik wird aber sozial unverträglich, wenn die Kohleindustrie entschädigt wird, andere Teile der Wirtschaft subventioniert werden, und die Mittel- und Unterschicht das dann bezahlen soll. Wenn der Staat Investitionsrisiko verringert, darf er nicht nur an den Kosten, sondern muss auch an den Gewinnen beteiligt sein.
Sollte den liberalen Eliten ein vernünftiger Staatsinterventionismus zu staatsinterventionistisch sein (das steht zu befürchten), müssten sie wenigstens ordentliche Defizite der öffentlichen Haushalte akzeptieren. Sonst wird der Klimaschutz nicht nur sozial unverträglich, sondern wird auch politisch unter berechtigten Druck kommen.