Erster Mai: Versammlungsrecht verteidigt

Selbstbestimmtes Österreich am Rathausplatz (Abstandskundgebung)

Über Hundert Leute waren dem Aufruf des Personenkomitees Selbstbestimmtes Österreich gefolgt und versammelten sich am Ersten Mai am Rathausplatz – unter Einhaltung der Abstandsregeln. Es gab noch etwas ein Dutzend anderer Maikundgebungen. Damit wurde das Versammlungsrecht zurückerobert.

Das ist ein großer Erfolg, denn noch vor wenigen Tagen war das keineswegs als selbstverständlich erschienen. Die Versuchung für Bundeskanzler Kurz, auszutesten wie weit er mit der Einschränkung der Bürgerrechte gehen könnte, war sehr groß – zu groß. Der Widerspruch zwischen der schrittweisen Öffnung der Geschäfte und dem Verbot von politischen Kundgebungen wurde unhaltbar. Und das trotz der großen Unterstützung, den die Notstandsmaßnahmen der Regierung im Allgemeinen genießen, auch aufgrund der Angst, die gezielt eingesetzt wurde, wie jetzt auch an Hand von Dokumenten belegt werden kann.

Doch was die Bürgerrechte betrifft, artikulierte sich Unmut, der zunehmend in Opposition und Widerstand umschlug. Daran zeigt sehr deutlich, dass die österreichische Bevölkerung keineswegs aus obrigkeitsgläubigen Schafen besteht, sondern sehr wohl mündig ist. Sie haben Kurz in diesem Punkt die Argumentation mit der Gesundheit der Bevölkerung nicht abgenommen – in den anderen Fragen aber schon. Auf diese Differenz müssen wir eingehen!

Wir haben mitgeholfen diese Opposition aktiv auf die Straße zu bringen. Ein kleiner Beitrag, doch mit erheblicher Hebelwirkung. Unsere auf den ersten Blick nicht gleich in ihrer Bedeutung erkennbare Stärke ist, dass wir gänzlich unabhängig von den diversen Machtapparaten einschließlich der Medien sind. Niemand kann uns manipulieren, benutzen oder gar erpressen. Doch wir hätten diesen Erfolg nicht erzielen können, wenn nicht ein signifikanter Teil der Bevölkerung so denken würde – und Kurz hat das Sensorium das wahrzunehmen.

Unsere starke Mai-Botschaft war und ist daher: man kann sich in der Verteidigung der Interessen der Mehrheit nicht auf das bestehende politische System und die Eliten, die es bilden, verlassen, selbst wenn sie gewählt sind. Es braucht Opposition von unten, insbesondere in der hereinbrechenden Krise.

Viele meinen, früher oder später hätte die Regierung die Bürgerrechte sowieso wiederhergestellt. Mag sein. Doch hinter der Oberfläche versteckt sich was viel Größeres, Gefährlicheres. Das neoliberale Regime institutionalisiert eine politische und soziale Enteignung, Entmachtung der breiten Masse, eine Hinaus- und Hinunterdrängung – trotz der formalen Demokratie. Das funktioniert vor allem mittels der EU, die zum Souverän gemacht wurde und sich als Sachzwangverwalter kleinredet. Aber auch über die Medien- und Kulturapparate usw. Wenn sich diese so mächtigen neoliberalen Eliten in einer Krise noch selbst außerordentliche Machtbefugnisse zusprechen, mit der Argumentation eines außergesellschaftlichen Feindes, dann ist das brandgefährlich. Denn sie waren es, die das Gesundheitssystem systematisch mittels EU-Vorgaben kaputtgespart haben. Dort wo die Krankenhäuser am kaputtesten sind, sind auch die Todeszahlen am höchsten. An Covid zeigt sich die Krankheit Neoliberalismus. Jenen, die die Verantwortung dafür tragen wie die Kurz-Partie, darf nicht erlaubt werden, sich nun als Retter aufzuspielen. Das spüren viele Wienerinnen und Wiener, wenn auch noch intuitiv und passiv.

Zudem: Es galt ein italienisches Szenario abzuwenden. Teil dieses Szenario ist es nun auch, dass mit dem Ausnahmezustand auch die soziale Opposition, insbesondere auch gegen die EU, von der Straße gedrängt wurde. (In Frankreich haben wir eine ähnliche Situation.) Premier Conte muss bei den Lockerungen mehr Angst vor dem Volkszorn als vor dem Virus haben. Seien wir nun auch in diesem Punkt wachsam, und verhindern wir ein antidemokratisch Szenario wie in Italien.

Zurück zu unserer Kundgebung: Ein Dutzend Rednerinnen und Redner, darunter viele Sozialdemokratinnen und -demokraten, sowie Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter demonstrierten die breite der Aktion – nicht zu vergessen auch die Musiker. Die Bürgerrechte standen bei allen im Zentrum der Aufmerksamkeit, genauso wie die unmittelbare soziale Verteidigung, wo eine Schieflage zugunsten der ÖVP-Klientele befürchtet wurde. Eva Brenner wies auf die prekäre Situation der Künstler hin, Betriebsrat Norbert Bauer auf die Katastrophe in der Hotellerie. Unsere stellvertretenden Forderungen für 80% Ersatzrate beim Arbeitslosengeld und ein Ende des Abbaus im Gesundheitswesen wurden stark unterstrichen.

Allerdings muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass die großzügigen Versprechungen des Bundeskanzlers durchaus politische Wirkungen zeigen und die starke Unterstützung erklären. Von deutschen neoliberalen Ideologen wurde das schon als sozialdemokratisch angemahnt. Ob er seine Versprechungen wahrmachen wird, bleibt abzuwarten – und wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es von unten eingefordert wird. (Dazu planen wir am 15. Mai ein Aktionsplenum unter freiem Himmel im Votivpark.) Dass er die 80% Ersatzrate gleich abblockte zeigt zumindest, dass er die Arbeiterbewegung draußen halten will. Auf der anderen Seite hat er auf die Stimmung im Volk reagiert, der Lufthansa als deutschem Konzern nicht einfach eine knappe Milliarde Staatsgeld in den Rachen zu werfen, sondern das an Bedingungen zu knüpfen, so wie es auch auf der Maikundgebung gefordert wurde.

Bleibt noch zu sagen, dass die Kritik an der EU sowohl was das Austeritätsdiktat als auch die Zerstörung der südeuropäischen Ländern insbesondere was das Gesundheitswesen betrifft, nicht zu kurz kam. Daran schloss die Forderung nach einer grundlegenden ökosozialen Wende mit massiven öffentlichen Investitionen im Interesse der Mehrheit an.

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