Zweiklassenbildung

Stellungnahme zur Bildungspolitik des schwarzblauen Regierungsprogramms

Schon im ersten Absatz steht: „Jede Schülerin und jeder Schüler in diesem Land verfügt über unterschiedliche Talente und Begabungen, hat besondere Interessen und möglicherweise in gewissen Bereichen Förder- und Aufholbedarf.“ Und dann weiter „Ein modernes Bildungssystem muss ... Talente und Interessen von Schülern fördern und entwickeln und mögliche Defizite ausgleichen. Es muss jenes Wissen, das im Rahmen einer weiterführenden Ausbildung und in der heutigen Berufswelt unbedingt erforderlich ist, in geeigneter, moderner Art und Weise vermitteln und für alle offen sein.“ So weit so gut, daran wäre wohl nicht viel auszusetzen.

Die Maßnahmen, die diese Ziele umsetzen sollen, zeigen auf, dass es dieser Regierung nur pro forma um individuelle Entfaltung und die Förderung von Talenten und Interessen geht. Vor allem will sie sicherstellen, „dass elementarpädagogische Einrichtungen nicht als Instrumente für die Förderung von gegengesellschaftlichen Modellen genützt werden“. Was solche 'gegengesellschaftlichen' Modelle sein sollen, wird nicht genauer definiert. Hingegen wird sogar dreimal wiederholt auf einen „genau definierten, verbindlichen Wertekanon“ hingewiesen, „dem Bekenntnis zur Verfassung, der Werte- und Gesellschaftsordnung“. Zu verpflichtenden Sprachstandsfeststellungen sowie zu der verpflichtenden Sprachförderung wird hinzugefügt, dass „das allenfalls nötige Erlernen der Unterrichtssprache außerhalb der Schulpflicht erfolgt.“ Also betrifft das „mögliche Ausgleichen von Defiziten“ wohl nicht die Sprache.

Weitere Maßnahmen sind „Festschreibung von Kontrollen der Qualitätsstandards – rasches Eingreifen und Konsequenzen bei Missständen sicherstellen“ sowie „verstärkte Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten der öffentlichen Hand bei Missachtung der durch die Vereinbarung vorgegebenen Regeln (Werte, Umgang mit Kindern etc.).“ Nicht nur SchülerInnen sondern auch Eltern (Eltern-Kind-Pass) und Lehrer sollen durch digital gestaltete Dokumentationssysteme besser und mehr kontrolliert werden. Qualitätsstandards sollen also durch mehr Kontrollen gehoben werden, was sogar konkret formuliert wird: „Werden die Inhalte der Lehrpläne, Anforderungen an das Personal oder Grundsätze der bestehenden Werte- und Gesellschaftsordnung bzw. die Grundsätze der Verfassung missachtet, sind Sanktionen zu setzen.“ Dies betrifft auch im Besonderen Privatschulen, die „erst nach eingehender Überprüfung der pädagogischen Lehrpläne und Maßnahmen“ eröffnet werden dürfen.

Wirtschaftliche Kompetenz und unternehmerisches Denken werden als Teil der Lehrpläne gewünscht, wogegen soziale Kompetenz und ein Besinnen auf ökologische Probleme aufgrund wirtschaftlicher Interessen nicht erwähnt werden.

Das bestehende Schulsystem wird als bewährtes differenziertes tituliert und soll als solches erhalten und ausgebaut werden.

Dieses Programm stellt für mich nicht nur einen krassen Rückschritt dar, der an schon längst überwunden geglaubte Erziehungsanstalten erinnert, sondern verspricht eindeutig den schon von den Eliten etablierten Wunsch nach einer Zweiklassengesellschaft zu erfüllen. Wirtschaftsinteressen und Konkurrenzfähigkeit auf internationaler Ebene sollen noch mehr in den Schulalltag einfließen, was auch durch den Ausbau eines Auslandsschulwesens als Visitenkarte Österreichs demonstriert werden soll.

Nur einmal erwähnt werden die Klassenschülerzahlen, die unter dem Gesichtspunkt der Erfolgswirksamkeit zeitnah evaluiert werden sollen. Dass diese, wie schon seit Jahren dringlichst notwendig, massiv reduziert werden müssen, um einen höheren Unterrichtsertrag gewährleisten zu können und den SchülerInnen das Gefühl von Individualität zu geben sowie das Fördern von Kreativität zu ermöglichen, bleibt so wie Vieles auf der Strecke.

Wird dieses Programm umgesetzt, und sie wollen für ihr Kind eine Schule, in der es seine Talente und Begabungen wirklich ausleben kann, es individuell gefördert wird, viel Spaß hat, und soziale Kompetenzen im Vordergrund stehen, dann haben sie einen weiten Schulweg – nach Finnland.

Mag. Iris Friedrich ist AHS Lehrerin im BG/BRG Klosterneuburg

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