Die AUVA, die österreichische Regierung und ihre Variante des Neoliberalismus

Auch ein Problem der „Makroökonomie“

Auch ein Problem der „Makroökonomie“

Das Gesicht der politischen Klasse in Österreich

Die AUVA wird also nicht zerschlagen. Ihre politischen Kumpane haben der unsäglichen Sozialabbau-Ministerin bedeutet, sie möge ihre persönlichen Rache-Gelüste – weil sie dort keinen gutbezahlten Job bekam – einbremsen. Aber andererseits möchte man den Unterneh­mern das versprochene Körberlgeld doch zukommen lassen. Wenigstens eine halbe Milliarde soll es sein, wenn schon keine ganze. Man kürzt also das Budget der AUVA. Aber die politi­schen Folgen bei den eigenen Wählern! Man muss somit die Leistungskürzungen unsichtbar machen. Dazu schlagen die Beamten der Hartinger-Klein zwei Wege vor:

(1) 300 Arbeitsplätze sollen entfallen, indem sie nicht mehr nachbesetzt werden. Die Leistungs-Kürzungen werden auf diesem Weg einfach in der Verzögerung und in der administrativen Schikane durchgesetzt.

(2) Andere Leistungen werden vorerst noch nicht entfallen, aber in andere Versicherungen hinein verschoben. Was heißt das? Schlicht, dass diese anderen Versicherungen irgendwo anders kürzen und andere Leistungen entfallen lassen müssen. Aber diese Leistungskürzungen sollen nicht auffallen. Sie werden über ein viel größeres sachliches Gebiet verteilt, sozusagen „verdünnt“.

Das ist ein würdiger Weg für diese schäbige Regierung mit ihren schäbigen Ministern und Staatssekretärinnen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dies eine Zeitlang auch funktioniert. Die Bevölkerung hat sich auf Leistungs-Kürzungen schon eingestellt und nimmt sie mürrisch hin. Es ist halt Kismet in der modernen Welt.

Diese Regierung hat dazu ein Argument, das verfängt. Mit dem müssen wir uns auseinander setzen. Die AUVA war für Arbeitsunfälle gedacht, gegründet und von Abgaben der Unter­nehmen finanziert. Nun hat sie sich auch in immer größerem Ausmaß mit Freizeitunfällen zu befassen und diese zu behandeln. Das, so heißt es, ist nicht ihre Aufgabe. – Ist dies nicht stichhältig?

Das System unserer Sozialleistungen entstand historisch aus einer Fülle von Einzelproblemen und den folgen Versuchen der Problemlösung. So sieht es konkret aus.

Die Arbeiterunfallversicherung war das erste Arbeiterschutzgesetz. 1887 als Gesetz beschlossen, war sie den da­maligen Kapitalisten ein Dorn im Auge. Denn es ging nicht nur um die Beiträge. Es sollte vor allem ein Incentive sein, Schutzvorrichtungen zu entwickeln und einzurichten. Der keineswegs hohe Aufwand störte die Unternehmer. Es mag interessant sein: Franz Kafka war Angestellter dieser Versicherung in Prag. Er hatte sich mit dem faktischen Boykott der Versicherung durch die Unternehmer herumzuschlagen und mit der Kollusion von Management und Staatsverwaltung. So schrieb er eine 40seitige Eingabe an das zuständige Ministerium. Ob es was genützt hat, wäre eine Frage.

Diese Entwicklung spiegelt den Megatrend in der Entwicklung von Produktion und Vertei­lung wieder, der den (Spät-) Kapitalismus prägt. Ein langsam wachsender Anteil unserer Subsistenz, unserer Lebens-Grundlagen, unseres Konsums, stellt sich inzwischen in Öffentlichen Gütern dar, im kollektiven Konsum. Unsere Sozialisation wird nur mehr teilweise in den Familien vollzogen. Die Kinder kommen immer früher in die Horte und Kindergärten und später in die Schulen und werden durch immer früher ansetzende Kinder­garten- und Schulpflicht dorthin gezwungen. Da werden zwar auch private Mittel aufgewandt. Sie werden aber doch zum ganz erheblichen Teil öffentlich, staatlich getragen.

Die Mobilität ist eine öffentliche Angelegenheit. Unternehmen verlangen immer mehr die unbeschränkte räumliche Verfügbarkeit ihrer Angestellten, und sie nutzen die Straßen als Lagerstätten („just in time“). Autobahnen und Straßen werden staatlich finanziert, und der öffentliche Verkehr in den Städten und auch sonst fällt in die Kompetenz der Gemeinden. Die Fahrkarten decken den Aufwand keineswegs. Aber privater Verkehr hat auch negative Neben­wirkungen, die Luftverschmutzung etwa. Das ist ein gutes Beispiel, wieso Öffentliche Güter überhaupt angeboten werden. Die rein private Produktion erzeugt schädliche Effekte, weil Kosten ausgelagert werden und so nicht in die Preise einkalkuliert werden müssen („externe Kosten“). Also versucht die Öffentliche Hand einen Teil dieser Schäden aufzufangen und zu verhindern, z. B. durch die Förderung des öffentlichen Verkehrs.

Ja, und im Gesundheitswesen und der Krankenversorgung – wir sind ja bei der AUVA – wird der überwiegende Teil der angebotenen Dienste öffentlich gedeckt, über Sozialversicherungen und Steuern. Soonst käme keine „optimale“ Versorgung zustande.

Dies entspricht einem Produktions-System, welches immer stärker von öffentlichen Leistun­gen zehrt. Es ist mittlerweile eine kollektive Produktion, wo eine Zurechnung von Einzelleis­tungen seit mindestens einem Jahrhundert keinen Sinn mehr ergibt. Die Verfügung freilich über die einzelnen Bestandteile dieses Produktions-Apparats, die Unternehmen, Arbeitsstätten und Fabriken und vor allem über die Arbeitskräfte ist freilich privat organisiert. Und vor allem wird der Ertrag privat einvernahmt, als Profit.

Daher kommt es zu Widersprüchen, und es muss dazu kommen. Auch gibt es Gegentenden­zen zu dieser Kollektivierung von Produktion und Verteilung. Letztere geht klassenspezifisch vor sich. Der kollektive Konsum bei den Grundlagen der Subsistenz ist vor allem für die Unterschichten von immer größerer Bedeutung. Die Oberschichten versuchen, sich viel stärker privat zu versorgen und machen daraus ein wesentliches Kennzeichen der Klassen-Identität. Nur in der Kultur setzen auch sie auf das öffentliche Gut und lassen sich Theater, Oper und Konzert von der Allgemeinheit finanzieren.

Zu den Widersprüchen gehört aber auch die Art der Finanzierung und der Leistungs-Bereit­stellung. Vertritt man einen radikalen Rationalismus, dann müsste man sagen: Das Zielfüh­rendste wäre eine einzige allgemeine Steuer, aus der Alles finanziert würde. Das ist eine alte Idee. Noch vor der Entstehung der („National“-) Ökonomie als eigenständige Disziplin im Zug der Aufklärung und, politisch, der Entstehung des modernen Nationalstaats, hat die Kameralwissenschaft bereits den impot unique, die Einheitssteuer, vorgeschlagen. Wie schon der französische Ausdruck zeigt, haben sich vorher in Frankreich Theoretiker mit der Idee befasst. Dort war die Entwicklung weiter und es gab, im Gegensatz zum deutschen Sprach­raum, kräftige Ansätze einer Ökonomik. Es war vor allem Boisguilbert, der die neuen Prob­leme diskutierte und so auf die Idee einer einzigen einheitlichen Steuer kam. Was aus heutiger Sicht dagegen spricht, ist nicht die Perspektive der Öffentlichen Finanzen. Hier wäre dies die rationalste Vorgangsweise überhaupt. Aber Steuern haben in unserem System nicht zuletzt eine Lenkungs-Wirkung. Man erhebt also eine Steuer auf Treibstoff auch, um ihn zu ver­teuern und damit einen Anreiz zu schaffen, weniger zu verbrauchen; usf.

Die Entwicklung verlief anders. Die Klassenkämpfe haben dem Kapital und dem Staat jeweils spezifische Leistungen bei spezifischen Problem-Stellungen heraus gerissen. Bei den Löhnen war es ähnlich. Die Zeitungen unterhalten uns mit manchmal skurrilen Zulagen. Die Unter­nehmer verlangen dann deren Abschaffung. Doch das sind einfach die Ergebnisse ganz spezi­fischer Verhandlungs-Situationen, wo Gewerkschaften mehr Lohn verlangten, und die Unternehmer dies zugestanden, unter irgendeinem Titel, um das auch wieder bestreiten zu können. Eine Abschaffung wäre einfach eine Lohnkürzung.

Genauso verhält es sich mit der AUVA und den Freizeit-Unfällen. Hier will die Regierung einfach eine Kürzung einer errungenen Leistung für die Bevölkerung. – Dies soll nicht heißen, dass man sich nicht Gedanken über manche Freizeit-Gestaltungen machen soll, wo durch hirnloses Verhalten Unfälle zustande kommen. Aber das ist eine ganz andere Frage.

Und nun kommen die Unternehmens-Vertreter und sagen uns: Was gehen uns die Freizeit-Unfälle an? Diese Zuständigkeit ist ein historischer Zufall. Es geht in unserer hochkomplexen und -vernetzten Welt um die Versorgung von Unfällen überhaupt – und wer das bezahlt. Und was die Leistungen der Unternehmen an die AUVA betrifft. Wer hat denn die Erträge, die Profite erwirtschaftet?

Diese Regierung der IV ist wild entschlossen, die Löhne zu kürzen. Und sie will im Einver­nehmen mit der EU, mit der Kommission und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), die österreichische Gesellschaft umorganisieren und in ein strikt neoliberales Korsett schnüren. Wenn die Menschen die Gesundheitsleistungen selbst bezahlen müssen, so ist dies einfach eine Kürzung des Real-Einkommens. Die Oberen Mittelschichten entschädigt man dafür durch eine Lohnsteigerung. Diese oberen 10 bis 20 % werden darunter nicht leiden.

Die AUVA soll ein Anfang bei den Versicherungen bilden. Dem Herrn Kurz kommen die Revanche-Gelüste der Sozialabbau-Ministerin gerade gelegen. Und diese selbst dürfte nicht begreifen, wie sie so vieles andere auch nicht begreift: Hat sie ihre Schuldigkeit getan, so kann sie gehen. Dann hat man wenigstens eine passende Figur, an der man sich abputzen KANN:

17. August 2018