Robert Menasse und seine Kollegen

Als Kettenhund der tonangebenden Intellektuellen hat man es auch nicht immer leicht. Ja, der Roman-Schreiber hat seine Freiheiten. Er darf eine Gestalt, die z. B. Steinhall oder Hallfels heißt, auftreten lassen und ihr Alles in den Mund legen, was er möchte. Aber er sollte sie nicht Hallstein nennen. Tut er das, dann kommen andere Kettenhunde daher und reißen ihm die Hose auf: „Im Journalismus gibt es nun mal die Regel, dass direkte Zitate unter Anfüh­rungszeichen den Wortlaut wiedergeben müssen“ (S. Weber - https://plagiatsgutachten.de / robert-menasse-im-interview-ja-ich-bin-ein-blender/).

Menasse reagierte in der „Welt“ (23. 12. 2018) pampig, wie von ihm gewohnt: "Was küm­mert mich das ‚Wörtliche‘, wenn es mir um den Sinn geht." Ein bemerkenswerter Ausbruch für einen Schriftsteller! Und ich habe immer geglaubt, dass es der Literatur gerade um die Sprache gehe! Seine Ko-Autorin Ulrike Guerot, die in einem Artikel in der erzkonservativen FAZ vom 28. März 2013 diese Menasse’schen Flunkereien mitverantwortet, hat auch diese Ausrede nicht. Als Professorin für Politikwissenschaft wäre sie nur der Faktizität verpflichtet. So eiert sie herum, versichert Menasse ihrer Hochachtung und distanziert sich dann ein wenig. Typisch akademisch, möchte man sagen …Aber was will man? Was sie da über die res publica schreibt („…das Wertvollste, was die politische Ideengeschichte seit Platon in Europa hervorgebracht hat…“), zeugt nur von historischer Ignoranz. Res publica war für die römi­schen Senatoren einfach das, was ihnen, der superreichen Führungsschicht, gemeinsam gehörte, der römische Staat. Aber auch da hat sie unwissentlich wieder recht: „Res publica ist also, was Europa im Kern ausmacht!.“

Ausgerechnet Hallstein, dem neuen deutschen Nationalisten der Zweiten Nachkriegszeit, dem Staatssekretär Adenauers und Erfinder der Hallstein-Doktrin, einen übernationalen Universa­lismus in den Mund zu legen, ist ziemlich stark. Das zeigt die politische Kompetenz Menas­ses, und wiederum der „Fachfrau“ Guerot. Aber so ganz verfehlt ist es auch wieder nicht. Hallstein war der Vertreter des Universalismus des deutschen Herrschafts-Anspruchs, etwa so, wie es das „Mitteleuropa“ des Friedrich Naumann von 1917 war: Dieser deutsche Univer­salismus wollte eine deutsche Herrschaft vom Nordkap bis nach Istanbul. Und an dieses Deutschland will sich Menasse ja schon seit Jahrzehnten anschließen, spätestens seit seinem Aufruf zum Anschluss vom Frühjahr 1995 (für jene, die im Detail interessiert sind Beilein 2008, 99). Aber die Eröffnungsrede zur Buchmesse durfte er für Österreich doch halten.

Kurzfristig kamen die Eliten ein wenig ins Schleudern – in der BRD, nicht hierzulande, Gott bewahre. Aber in der BRD hat die Landesregierung von Rheinland-Pfalz einen Preis an Menasse verliehen. Den wollte sie nochmals überdenken. Und das hat sie getan und ist zum Schluss gekommen: „Sein engagiertes Streiten für die EU“ müsse ja doch belohnt werden (Standard, 8. Jänner 2019). Ich glaube, es fällt den Damen und Herren Dreier und Wolf gar nicht auf, wie sehr sie sich da decouvrieren. In der NZZ kommentiert ein Mitarbeiter der Zeitung aus Berlin süffisant (8. Jänner 2019): „Man kann von einer Radikalisierung der Liebe des Schriftstellers Robert Menasse zu Europa sprechen“, die ihn erst Zitate, dann Fakten fälschen lasse.

Menasse ist ein Schriftsteller, und was er hier macht, wäre eigentlich nicht so wichtig. Ich lade alle ein, sich von seiner schriftstellerischen Qualität selbst einen Eindruck zu verschaf­fen. Sie könnten sich z. B. „Erklär mir Österreich“ (2000) ansehen, erschienen beim ehemals angesehenen Suhrkamp-Verlag. Auf weite Strecken weiß man nicht, von welchem Land diese öden Kurztexte („Essays“) eigentlich handeln. Wien hat viele Feuilletonisten hervorgebracht. Sie konnten manchmal das Publikum für einige Jahre blenden. Heute muss man spezialisierter Literatur-Historiker sein – oder Geistesgeschichte betreiben – um sich an sie zu erinnern.

Aber als in der Bundesrepublik dieses Skandälchen platzte, dehnten sich hierzulande die Schrecksekunden sehr lang. Man überlegte in den Redaktionen offenbar, ob man es sich erlauben dürfe, einen so hoch und über die Parteigrenzen hinweg protegierten Schreiber anzufassen. Ausgerechnet das Feuilleton der Wiener Zeitungen verharrte in Schreckstarre, wo sonst jeder Laut eines Schauspielers zum Ereignis wird. Am ehesten wagte sich noch der „Standard“ aus der Deckung. Diese Geschwister im Geist des Robert Menasse nahmen das Vorkommen offenbar ernst. Sie sahen, dass dies ihren Anliegen Schaden tun dürfte. Erst jetzt, nachdem die deutschen Zeitungen und auch andere nicht aufhören zu berichten, liest man auch in hiesigen Blättern etwas. Das ist kennzeichnend für den österreichischen Journalismus: Verschweigen, was man nicht möchte.

Österreichs Literaten pflegen und pflegten seit je eine Kultur der devoten Abhängigkeit gegenüber dem „Reich“. Das ist es, was wir wirklich thematisieren müssen. Für die Deutsch­nationalen lag das Gelobte Land jenseits der Grenze. Als ein Kontrahent einmal ironisch anmerkte, sie schielten stets über die Grenze, dichtete das Schönerer-Blatt zurück:

„Wir schielen nicht, Wir schauen
hinüber frank und frei, Wir schauen unverwandt,
wir schauen froh hinüber
ins deutsche Vaterland.“

Dann kam eine kurze Zeit, in den 1970ern und 1980ern, eine verpflichtende Orientierung auf Österreich. Das aber hielten viele nicht aus. Und sie fanden ihr Thema: das angeblich beson­ders böse Nazi-Land Österreich. Die BRD habe ihre Vergangenheit viel besser bewältigt als Österreich. Diese groteske Verdrehung nach Adenauer mit seinem Gehlen, nach dem Kanzler Kiesinger, usw., brachte dieser Gruppe endlich eine Rationalisierung ihres Hass auf das Land.

Heute sind diese Schriftsteller hegemonial und dominant in Österreich. Sie spielen hier die­selbe Rolle wie die Antideutschen in der BRD. Aber diese sind eine von allen Seiten ein­schließlich der Linken marginalisierte kleine Gruppe, die Plebeier der Berliner Intellektuellen. Menasse und Co. hingegen bestimmen die Linie in Wien und genießen umfassende und parteiübergreifende Unterstützung. Ich warte, dass endlich Erhard Busek zur Verteidigung Menasses ausrückt. – Der Begriff dominant ist nicht zu stark. Wer an ihnen anstößt, erfährt bald, dass dies nicht gut tut.

Und nun hat sich ausgerechnet der Leithammel dieser Herde einen peinlichen Fehltritt geleistet. Doch der Apparat arbeitet schon, um das zu reparieren. Zuvorderst an der Front steht die Hauptgestalt der intrigue selbst. Die Welt, das reaktionäre und bösartige Springer-Blatt, stellt sich ihm wieder zur Verfügung (4. Jänner 2019), und die österreichische „Presse“ findet das ebenso gut, dass sie es auch veröffentlicht. Dort greift er an:

„Worum es in Wahrheit geht! … Aber warum sind die Begriffe plötzlich so groß, mit denen einem Schriftsteller zugesetzt wird? … Natürlich geht es nun auch darum, eine europapoliti­sche Idee niederzukartätschen, eine Vision, die in den letzten Jahren vermehrt Zustimmung gefunden hat. Es geht um das Interesse der Nationalisten, die Gründungsidee des europäi­schen Einigungsprojekts zu verdrängen und jede Vision eines nachnationalen Europas als Spinnerei abzutun. … Wissen das die erregten oder höhnischen Journalisten? … Sie selbst liefern – bewusst oder unbewusst – den Rechtsextremen Stoff!“

Ja dann: Der Ermordete ist schuld.

 

 

Beilein, Matthias (2008), 86 und die Folgen. Robert Schindel, Robert Menasse und Doron Rabinovici im literarischen Feld Österreichs. Berlin: Erich Schmidt Verlag.

 9. Jänner 2019