Ein Regierungsprogramm - gegen Wien

Kurz und Straches Vorhaben, II

Regierungen und die politische Klasse fordern zu Beginn ihrer Perioden und Aktivitäten gerne einen Vertrauensvorschuss ein. Ein Misstrauensvorschuss ist die passende Antwort für solche Institutionen und Personen. Nach der bisherigen Erfahrung kann der gar nicht groß genug sein. "Macht korrumpiert" formulierte der britische Publizist Lord Acton im 19. Jahr­hundert. Er hätte besser gesagt: Macht ist Korruption.

Da führt eine Partei einen Wahlkampf als Rächerin der Enterbten. Doch wenige Wochen später wirft sie Alles über Bord, was sie bisher versprochen hat. Aber wie sagte schon Travniček? "Gehn’s, die haben ja nicht zum ersten Mal gewählt."

Ein "Regierungsprogramm 2017 – 2022" von 182 Seiten Stärke legen uns also jetzt die Damen und Herren von der FPÖVP vor, nicht etwa eine Parteien-Übereinkunft. Üblicher Weise trägt der Regierungschef ein ausgearbeitetes Regierungsprogramm dem Parlament vor. Der anmaßende Titel spricht selbst bereits Bände. Ist nun die Katze aus dem Sack, nachdem man wochenlang nur leere Inszenierung für unbedarfte Journalist/inn/en hatte?

Ja und nein. Hohle Phrasen und ein überbordender Jargon lässt nur sehr schwer etwas Inhaltliches erkennen. Das ist nicht unüblich bei solchen Texten. Hier wird es auf die Spitze getrieben. Es ist eine Mischung aus verspätetem Wahlkampf-Bla-Bla und von Schlüsselwör­tern der neoliberalen und neokonservativen Ideologie: "Stopp überbordender Regulierungen"; "wir fördern unternehmerische Initiative, belohnen die Fleißigen"; "Effizienzpotenziale von mehreren Milliarden Euro [in der Verwaltung] sind zu heben"; usf. Mit dem letztzitierten Unsinn gehen wir allerdings langsam in die materielle Kritik über.

Denn nun kommen Codes, die zwar ohne Konkretisierung keine Aussage haben, die aber doch den vorgezeichneten Weg erahnen lassen. Um einen dieser Wegweiser geht es in diesem Beitrag. Wir werden uns noch etliche andere auch anzusehen haben, die ebenso wichtig sind. Mag sein, dass es Wichtigeres gibt. Aber so ohne ist dies auch wieder nicht, wie wir gleich sehen werden. Ich gehe hier somit nach der Reihenfolge im Papier, im "Regierungs-Programm" vor.

"Die Ausnützung des jeweiligen Gebühren und Steuer-Potenzials" im Rahmen des Finanz­ausgleichs (FA) und die "konsequente Verknüpfung der Zuständigkeiten mit der Verantwor­tung für deren Finanzierung", das klingt vorerst auch wie eine der üblichen Sprechblasen. Ich denke allerdings, da steht etwas mehr dahinter. Es geht um den Finanzausgleich und mit ihm um eines der wichtigsten Instrumente des national-territorialen Interessens-Ausgleichs. Das ist seit einiger Zeit ein beliebtes Angriffsziel der harten Konservativen, nicht zuletzt in der BRD. Erinnern wir uns: Die CSU wütet seit vielen Jahren gegen die Nordlichter, die aus Bayern Geld bekommen. In Österreich war bislang eher weniger die Rede davon. Allerdings ließ der Vorarlberger Landeshauptmann während der Verhandlungen ÖVP-FPÖ aufhorchen. Bei der Frage der bundeseinheitlichen Sozialversicherung verwahrte er sich gegen die Zu­mutung, dass "Vorarlberger Geld" nach Wien fließen könnte. Das ist also die innernationale "Solidarität". Er hat über sein Kleingeld vergessen: Hier geht es um den Ansatz, in Österreich jede politische Alternative zu zerquetschen. Denn Wien könnte u. U. für Oppositionelle attraktiv sein.

Solche Zurufe gerade aus Vorarlberg sind nicht eigentlich was Neues. Das Land leistet sich, zusammen mit Tirol, ein Institut für Föderalismusforschung in Innsbruck. Seit 2003 ist auch Oberösterreich dabei. Es ist im Grund eine Propagandastelle gegen den seit vielen Jahrzehn­ten geltenden FA und seine Prinzipien. Wer sich im österreichischen Westen lieb Kind machen will, tut gut daran, mit diesen Leuten politisch zusammen zu arbeiten. Dort erschien z. B. schon in den 1980ern ein Heft des nachmaligen Rektors der Uni Innsbruck, Manfred Gantner: "Der abgestufte Bevölkerungsschlüssel als Problem der Länder und Gemeinden". Es war ein Generalangriff auf den Lastenausgleich vor allem mit Stoßrichtung gegen Wien. Wien, so die Aussage, bekäme zu viel Geld. Gantner wurde auch belohnt; er wurde wie ge­sagt, Rektor. Allerdings serviert man ihn nach einer Amtsperiode ziemlich unfein ab, weil er sich in seiner Arroganz, nicht gepaart mit Effizienz, bei seinen Kollegen ganz unmöglich gemacht hatte ...

Der Finanzausgleich ist deswegen so kompliziert, weil er, erstens, drei Gebietskörperschaften zu bedienen hat (Bund, Länder, Gemeinden), und zweitens, zwar mit einigen einfachen Prin­zipien arbeitet, aber in den Verhandlungen dann die Systematik ziemlich ins Wanken kommt. Jedes Land und die Gemeinden dazu versuchen eben, für sich noch etwas heraus zu reißen. Wenn wir hier von den Ländern sprechen, meinen wir nicht die politischen Verwaltungsein­heiten, sondern die territorialen, inklusive der Gemeinden. Städte bekommen, abgestuft nach ihrer Größe, mehr Geld pro Kopf der Bevölkerung, und damit die Länder, in welchen sie liegen, weil man davon ausgeht: Sie haben als zentrale Orte für das Umland Leistungen zu erbringen, von den Gesundheits-Diensten über die Verkehrs-Infrastruktur bis zur Hochkultur. Das Ganze ist in manchen Teilen eine fragwürdige Angelegenheit und wäre es wert, seriös diskutiert zu werden. Aber hier geht es um was Anderes. Wien war seit dem Beginn schon der Ersten Republik das Feindbild der erzkonservativen westlichen Bundesländer. Insbesondere Vorarlberger hetzten schon 1919 gegen das "verjudete Wien".

Wenn wir die letzten Wahlergebnisse betrachten, dann haben wir eine Cleavage Land gegen Stadt, wie wir sie seit Jahrzehnten in dieser Schärfe nicht mehr hatten. Schon beim Spiel Hofer gegen van der Bellen war dies mit Händen zu greifen. Die beiden künftigen Regie­rungs-Parteien sind die Parteien der Provinz, und sie haben dies auch deutlich genug betont.

Das Alles hat eine sehr handgreifliche Seite, wie schon erkenntlich war. Vereinfacht gesagt, bekommt Wien mehr Geld, als der Anteil der Bevölkerung ausmacht. Da nun Wien in man­cher Weise auch jetzt bereits eine Politik betreibt, welche den beiden künftig herrschenden Parteien missfällt, wird man versuchen, die Stadt / das Land finanziell zu strangulieren. Rechtfertigen wird man es mit einem schwachen Abklatsch der Lega Nord-Argumentation. Das und nichts Anderes besagt der vornehme Ausdruck von der "Steuer-Autonomie".

Bei dieser künftigen Anti-Wien-Politik gibt es allerdings speziell für die FPÖ ein Problem. Sie will unbedingt den Wiener Bürgermeister bekommen. Ohne dass ich dies belegen kann, bin ich völlig überzeugt: Es gibt eine (natürlich sehr geheime) Nebenabsprache zwischen ÖVP und SPÖ diesbezüglich. Da die Wiener SPÖ ja seit Jahren Alles tut, um dies auch von ihr aus zu realisieren – sie steht angeblich derzeit bei 32 % der Wahlabsichten, die Grünen sind sogar existenziell gefährdet – , ist ein künftiger FP-Bürgermeister in Wien, sei es Strache oder Gudenus, sogar eine ziemlich wahrscheinliche Geschichte. Wie aber soll man einerseits Wien und damit seine Einwohner karniefeln, andererseits aber die Gunst der hiesigen Unterschichten weiter erhalten?

Albert F. Reiterer, 17. Dezember 2017