Kein Flugzeug am Himmel

Corona- Quarantäne-Tagebuch, Teil 3

Liebe Leute,

wie bereits mehrmals hervorgehoben: In vielen Bereichen der Gesellschaft steht die Mühle!

Und dieser Stopp verzeichnet aus meiner Sicht zunächst einmal verschiedenste positive Auswirkungen:

So darf jetzt, weil staatlich verordnet, ungehindert ausgeruht werden, ohne damit gleich in den Verdacht zu geraten, ein Schmarotzer zu sein, der sich einen schönen Tag macht, während andere so bemitleidenswert hart arbeiten müssen. In meinem Umfeld ergeben sich daraus z.B. folgende Szenen:

Auf den Stiegen des versperrten Salzburger Landesgerichts sitzen mehrere Leute und genießen die Sonne, manche essen auch ein Eis aus dem Supermarkt. Eine Straße weiter legen zwei Mädchen einen dicken Polster auf ihre Fensterbank, setzen sich drauf, lassen die Beine hinunterbaumeln und beobachten von oben lachend die Passanten. Unten auf der Straße beginnt indessen eine Unterhaltung von sich bisher fremd wirkenden Menschen, wie schön es nicht sei, dass kaum Autos auf der Straße fahren.

Kommt allerdings einmal ein Auto vorbei, dann bewerte ich meine neue Empfindlichkeit für dessen Gestank auch positiv. Mir kommt sogar vor, ich kann zum ersten Mal in meinem Leben den Abgasgeruch von Benzin- und Dieselautos unterscheiden.

So sicher wie die Geburtenrate in neun Monaten ansteigen wird, bin ich mir auch, dass die Radfahrer auf den Radwegen mit weiterer Dauer der Quarantänemaßnahmen sukzessive langsamer fahren werden. Es fehlt ihnen auch das Vorbild (und hier muss ich laut lachen): Vom Leistungssport gibt es ja im Fernsehen derzeit nicht viel zu berichten! Da wird einem gleich bewusst, wie systemimmanent diese Art der (Freizeit)Betätigung doch ist. Und zufälligerweise ertönt genau in diesem Moment aus meinen Kopfhörern: „All we got is happiness“!

Damit wechsle ich zu meiner neuen Lieblingsbeschäftigung: Himmel schauen. Faszinierend, wie blau der Himmel in den Zeiten des Stillstands doch ist! Und trotz intensiver Suche gelingt es mir nicht, ein Flugzeug zu entdecken. Das lässt mich gleich durchatmen und Vertrauen gewinnen, dass die Quarantänemaßnahmen nun doch voll wirken. Gleichzeitig entsteht aber ein Druck in der Brust und eine Trauer, dass wir uns diesen Himmel, zusammen mit dem Schnee im Winter so schleichend nehmen ließen, als die Mühle noch voll in Betrieb war.

Die neoliberale Globalisierung erweist sich in dieser Krise überhaupt als eines der Grundprobleme: Die „hotspots“ der Ansteckungen sind weltweit die Orte, an denen viel internationaler Reiseverkehr stattfindet. Grenzschließungen und Quarantänemaßnahmen sind daher ein vernünftiges Mittel gegen die Ausbreitung der Krankheit. Das Virus ist ja hoch ansteckend und kann wirklich jeden treffen, auch die Eliten. Und es gibt kein wirksames Medikament dagegen. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass die meisten „stakeholder“ eher zu den älteren Semestern zählen und deshalb verstärkt betroffen wären; nicht zuletzt deshalb, weil sie überproportional im Reiseverkehr anzutreffen sind. Man könnte also aus Sicht der Eliten mutmaßen, dass sie für ihren eigenen Schutz bereit sind, viele wirtschaftlich Kleinere über die Klinge springen zu lassen? Nein, nein, nein, wir wollen ja nicht zu kritisch denken.

Versteht mich nicht falsch: Im Großen und Ganzen finde ich die sanitären Maßnahmen der Regierung bzw. auch deren Mut zu den Quarantänevorschriften völlig richtig, auch wenn man die furchtbare Lage in Italien ansieht. Das einzige, was es hier zu bemängeln gibt, ist, dass sie nicht noch früher ergriffen wurden. Es ist aber der verfehlten Politik der letzten drei Jahrzehnte nach Zusammenbruch des Realsozialismus zu schulden, dass solche notwendigen Schutzmaßnahmen unser gesamtes Wirtschafts- und Gesundheitssystem so schnell an den Rand des Zusammenbruchs führen können. Gerade jetzt zeigen sich also die Folgen der rücksichtslosen Spar- und Auslagerungspolitik der vergangenen Epoche des Neoliberalismus.

Damit stellt sich wiederum die Frage, ob die Maßnahmen unseres geschäftsführenden Ausschusses in Zeiten des Dogmas von freien Märkten überhaupt so lange wie notwendig durchgehalten werden können, oder ob es damit nur gelingt, die Zahl der Ansteckungen auf einen längeren Zeitraum zu verteilen. Jedenfalls wird händeringend nach billigen rumänischen 24-Stunden-Pflegerinnen, bulgarischen Erntehelfern und ungarischen Lastwagenfahrern gerufen. Aber die können derzeit nicht kommen. Und die Produzenten von dringend benötigten Medizinprodukten sitzen irgendwo weit weg und wollen oder können uns momentan nicht beliefern.

So wirkt die Ankündigung der EZB, ein voluminöses Rettungspaket zu schnüren, für mich eher wie eine gefährliche Drohung. Sie wollen offenbar weitermachen wie bisher und uns mit einer Geldflut in ihr Ausbeutungssystem zurückzwingen. Der versprochene Ankauf von Staatsanleihen bedeutet aus meiner Sicht nämlich, dass weiterhin Kosten sozialisiert und Gewinne privatisiert werden sollen. Denn in die Schuld geht damit wieder einmal der Staat, während die Empfänger der sogenannten „Fixkosten“ weiter ungehindert die Hand aufhalten können, als ob es nie eine Corona-Krise gegeben hätte. Und um wen handelt es sich dabei genauer betrachtet hauptsächlich? Wohl um die sogenannten Kreditgläubiger mit ihren Zinsforderungen, die Immobilienbesitzer mit ihren Mieterwartungen und die „stakeholder“ von Großbetrieben mit ihren Renditeansprüchen. Alles Leute, die für ihre ansehnlichen Einkommen auf die Arbeit anderer Menschen zugreifen. Und unser Finanzminister hat ja schon öffentlich angekündigt, dass nach dem Ende dieser sogenannten Krise die Daumenschrauben wieder kräftig angezogen werden sollen und weiter gespart werden müsse.

 

LG Udo Martin, Salzburg