„Coronabonds“?

Abgestandener Wein in alten Schläuchen

In der EU stehen sich (zumindest) zwei Konzeptionen gegenüber. Die Berliner Vorstellung könnte man den deutschen Supra- oder auch Super-Imperialismus nennen. Die deutschen Eliten und ihre Regierung wollen alle Vorteile des ungehinderten Handels plus die politischen Regulierungen im Sinne des Ordoliberalismus für sich. Aber sie wollen nichts bzw. möglichst wenig dafür bezahlen. Es ist dieses Konzept, das sich in der EU auf Grund der Karft- und Machtverhältnisse durchgesetzt und seit der Etablierung des Euro zugespitzt hat.

Das andere Konzept war stets das Konzept der Halbperipherie, die aber noch immer und immer wieder politische Ambition hat: Die Deutschen sollen möglichst zum Nutzen der Übrigen verwertet werden; aber man muss sie beherrschen und zähmen. Es war das Konzept der Französischen Regierung von Anfang weg. Es entpuppte sich auf Grund der Kräfte-Verhältnisse sehr schnell als Illusion. Aber immer wieder wurde es vorgebracht. Und immer wieder zeigte es sich als große Illusion. Das letzte Mal war dies so, als Mitterand dem damaligen deutschen Kanzler Kohl die Einheitswährung, den Euro geradezu aufzwang, als Preis für die Zustimmung zum Anschluss der DDR an die BRD. Wie wir alle wissen, wurde der Euro zum effektivsten Mittel der deutschen Dominanz und Hegemonie.

Aber wir sollten Eines nicht übersehen: Da die BRD zwar mit Abstand die stärkste Macht in der EU ist, kann sie zwar diesen Begehren stärksten Widerstand entgegen setzen. Aber i. S. der internen Dynamik und des do ut des muss die deutsche Regierung doch immer wieder einige Konzessionen machen. Die EU ist nicht mehr nur eine deutsche Veranstaltung. Auch Deutschland hat nicht wenige Kompetenzen nach Brüssel, Luxemburg und Frankfurt abgeben müssen. Freilich muss man sagen: Bisher ist es ihnen immer wieder gelungen – nochmals: siehe Euro – die Geschichte für ihre Wünsche und Interessen hinzubiegen.

Und jetzt die „Corona-Bonds“, also die Eurobonds, nur eben umgetauft. Wieder glauben die Peripheren, insbesondere auch Italien, den Deutschen Kapitalismus benützen und melken zu können. Besonders grotesk ist dies, wenn Italien bzw. seine Regierung und sein Präsident dies so unterstützt. Der jahrhundertealte italienische Minderwertigkeits-Komplex gerade gegenüber dem Westen und heute der Bundesrepublik ist ja so ausgeprägt, das nicht wenige ihrer Eliten sich am liebsten an sie anschließen möchten. Man lese nur nach, was Gianni Agnelli oder auch noch in den 1990er Jahre die Ideologen der Lega, damals „Nord“, gesagt und geschrieben haben.

Die Chance, dass diesmal so etwas wie Eurobonds durchgesetzt werden, stehen ziemlich günstig für die Propagandisten der „Europäischen Republik“. Es wäre ein Dammbruch. Denn diesmal geht es nicht einfach nur um einen ein bisschen vergrößerten Transfer aus dem Norden in den „Süden“ (inklusive Frankreich). Diesmal geht es auch um einen wesentlichen Schritt in eine einheitliche EU-Wirtschaftspolitik, die nicht mehr ausschließlich über die Fiskal-Kriterien und die Währung funktioniert. Wer wissen will, wie eine solche Politik aussieht, soll nach Griechenland schauen! Die Reichskommissare greifen direkt ein und befehlen den nationalen Politikern, was sie konkret und im Einzelnen zu tun haben, Die Eurobonds, von den Peripheren am stärksten eingefordert, würde die Peripherisierung des Südens und vermutlich auch des Ostens, also jedenfalls aller Mitglieder außerhalb des ehemaligen DM-Blocks, um einen entscheidenden Schritt weiter treiben.

Die Corona-Krise hat für die Herrschenden gegenüber der Euro-Krise mehrere Vorteile. Ein Großteil der Bevölkerung steigt darauf ein, dies als existenziell bedrohliche Situation zu betrachten. Die neue Pest. Damit sind jene, die dies so sehen, auch bereit, ziemlich Alles hinzunehmen, was die Regierenden beschließen. Wenn es nicht so pervers wäre, wäre es schon fast schon wieder amüsant: „Wenn diese Krise vorbei ist – sagte mir ein Bekannter, der sich stets als Linker aufspielt – werden wir der Regierung wirklich auf die Finger schauen müssen…“

Diese Krise ist im Gegensatz zur Euro-Krise eine, welche das gesamte soziale und politische System durcheinander rüttelt. Heute überlegt und beschließt die Regierung Maßnahmen, welche noch vor einem Monat geradezu unvorstellbar waren, für ein so häufig berufenes liberales System. Und nicht nur ein erheblicher Teil der Bevölkerung nickt dazu. Auch viele, die sich stets als Oppositionelle gerierten, begreifen nicht: Selbst und gerade liberale Politik müsste immer eine Abwägung von Interessen und Maßnahmen und eine Rücksicht auf grundlegende Prämissen bedeuten.

Corona- oder Eurobonds könnten durchaus ein Ergebnis dieser Krise sein, in der offenbar mittlerweile Alles möglich geworden ist.

Wann beginnt ein ernsthafter Widerstand?

AFR, 28. März 2020

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