Dramatischer Absturz der Pflegeausgaben seit EU-Fiskalpakt

Wir solidarisieren uns mit den Beschäftigten im Sozialbereich, die mit Warnstreiks für faire Lohnerhöhungen und die Verkürzung ihrer Arbeitszeit kämpfen. Wichtig ist es aus unserer Sicht, die Forderungen nicht nur gegen die Arbeitgeber, sondern auch gegen die politisch Verantwortlichen zu richten, da die Sozial-Unternehmen zum Großteil von öffentlichen Geldern abhängig sind. Aktuelle Berechnungen zeigen einen dramatischen Absturz insbesondere der realen öffentlichen Pflegeausgaben pro Kopf seit dem Inkrafttreten des EU-Fiskalpakts.

Die gewerkschaftlichen Forderungen von GPA und vida sind mehr als berechtigt. Viele der in Sozial- und Gesundheitsberufen Arbeitende sind an den Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit. Zugleich liegen die Löhne und Gehälter in dieser Branche, in der so viel wertvolle Arbeit für die Gesellschaft geleistet wird, um 19% unter dem durchschnittlichen Lohn- und Gehaltsniveau. Der Anteil der Teilzeitarbeit in dieser Branche ist auf 70% angestiegen, davon können die meisten Beschäftigten – es sind überwiegend Frauen - nicht leben.

 

Seuche Austeritätspolitik

Die wachsende Überbelastung und schlechte Entlohnung hängt eng mit der Spar- und Kürzungspolitik der öffentlichen Haushalte zusammen. Denn die öffentliche Hand ist zum überwiegenden Teil Auftraggeber der in diesem Bereich beschäftigten Unternehmen. Vor allem seit dem EU-Fiskalpakt (2012/13) legt sich diese Austeritätspolitik wie eine Seuche über die öffentlichen Budgets – vom Bund bis zu hin den Gemeinden. Wie scharf dieser Einschnitt ist, der mit dem EU-Fiskalpakt (und einigen anderen zeitgleich beschlossenen EU-Verordnungen) erfolgte, lässt sich anhand der öffentlichen Ausgaben für die laufenden öffentlichen Gesundheits- und Pflegeausgaben demonstrieren. Verglichen wurden die Zeiträume 2007 – 2011 mit 2012 – 2016. Denn 2012/13 trat bekanntlich das EU-Fiskalpaktregime in Kraft (sh. Grafik).

 

Eklatanter Unterschied vor und nach Einführung des Fiskalpakt-Regimes

Im Zeitraum 2007/11 stiegen die öffentlichen Gesundheitsausgaben (real, also inflationsbereinigt) pro Kopf der Bevölkerung um 2,2% (das entspricht einer bescheidenen jährlichen Steigerung von 0,44%). Im Zeitraum 2012/16 sind diese – ohnehin bescheidenen - realen Steigerungen faktisch verschwunden: innerhalb von 5 Jahren stiegen die realen Steigerungen pro Kopf nur mehr um 0,6%. Das entspricht einer jährlichen Steigerung um nur mehr ein mikroskopisch wahrnehmbares Promille. Ältere Menschen brauchen natürlich in besonders hohem Maß unser Gesundheitssystem. Bezieht man diese realen Gesundheitsausgaben auf die Zahl jener Menschen, die 75 Jahre und älter sind, so schaut die Bilanz bereits ziemlich besorgniserregend aus: Schon im Zeitraum 2007/11 sanken diese Pro-Kopf-Ausgaben um 0,4%, aber bereits um 8,1% im 5-Jahreszeitraum nach dem Fiskalpakt 2012/17. Hier schlägt die sog. „Gesundheitsreform“ zu, die – als Folge des Fiskalpakts – die Gesundheitsausgaben ab 2013 zu „deckeln“ begann. Diese „Deckelung“ wurde ab 2017 nochmals verschärft.

 

Absturz bei der Pflege: Minus 11,3%

Noch eklatanter fällt die Diskrepanz zwischen den Zeiträumen vor und nach Einführung des EU-Fiskalpakts aus, wenn wir die laufenden öffentlichen Ausgaben für die Pflege unter die Lupe nehmen. Im Zeitraum 2007/11 stiegen die öffentlichen Pro-Kopf-Ausgaben um 12,6% (jährlich um ca. 2,3%), im Zeitraum 2012/16, gingen sie in diesen 5-Jahreszeitraum um 2,3% zurück. Auch hier erkennen wir eine besonders dramatische Entwicklung bei den Pro-Kopf-Ausgaben bezogen auf die Menschen 75-plus, auf die gerade im Pflegebereich ein Großteil der Ausgaben entfällt. 2007/11: Plus 9,7% (jährlich ca. plus 1,9%), 2012/16: Minus 11,3% (jährlich ca. minus 2,2%).

Es ist kein Zufall, dass diese Zahlen in dieser Form nie aufbereitet werden, enthüllen sie doch, wie sehr dieses neoliberale Spar- und Kürzungsregime, das über die EU-Ebene oktroyiert wird, in unseren Gesundheits- und Sozialbereich, und damit in unsere Lebensqualität einschneidet. In Ländern wie Griechenland und Großbritannien, wo diese Austerität noch drastischer durchgezogen wurde, hat das bereits zu einem deutlichen Sinken der Lebenserwartung geführt.

 

Lebenswertes Österreich statt engstirniger Fiskalpakt-Diktate!

Lassen wir es nicht soweit kommen! Wir halten es daher für wichtig, nicht nur die Arbeitgeber im Sozialbereich mit den Forderungen der ArbeitnehmerInnen zu konfrontieren, sondern auch die politisch Verantwortlichen, die diesen EU-Spardiktate exekutieren. Die schwarz-blaue Regierung will die Auflagen des EU-Fiskalpakts in Form einer „Schuldenbremse“ ja sogar in der Verfassung verankern. Auch gewerkschaftliche Selbstkritik wäre angebracht für einen glaubwürdigen Neustart im Kampf gegen den verschärften Sozialabbau. Immerhin haben Spitzengewerkschafter wie der GPA-Vorsitzende Wolfgang Katzian, der bald zum ÖGB-Vorsitzenden aufsteigen soll, es erst möglich gemacht, dass der Fiskalpakt seinerzeit im Parlament eine Mehrheit gefunden hat.

Norbert Bauer (Betriebsratsvorsitzender, vida-Funktionär und Vorsitzender der Solidarwerkstatt): „Die Forderungen der Gewerkschaft müssen sich an Arbeitgeber UND die Politik richten. Denn die Durchsetzung unserer gewerkschaftlichen Forderungen, hängt letztlich daran, dass wir die Unterordnung unter diese unselige Spar- und Kürzungspolitik im Sozial- und Gesundheitsbereich beenden. Wir müssen zum Beispiel die Einbeziehung der Pflege in eine wertschöpfungsfinanzierte Sozialversicherung auf die Tagesordnung setzen, um endlich den Pflegenotstand in unserem Land zu überwinden. Wir wollen ein lebenswertes Österreich statt engstirnige Fiskalpakt-Diktate!“

 

Bitte unterstützen: Unterschriftenaktion „Arbeitszeitverkürzung JA! Verschlechterungen: Nicht mit uns!“