Ich muss zugeben: Als ich von der Geschichte hörte, dass Kneissl Putin zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte, war mir dies zutiefst unsympathisch. Dieses Seitenblicke-Format verrät eine Haltung, die gerade auch für die FP-Regierungsmitglieder ziemlich kennzeichnend ist.
Aber nach der hysterischen Reaktion der meisten österreichischen Zeitungen und der parlamentarischen Schein-Opposition – dabei mussten die Grünen sogar einen EP-Parlamentarier aufbieten, weil sie keinen mehr im österreichischen Parlament haben – ist die Angelegenheit so politisch geworden, wie sie nur sein kann. Keine Spur mehr von Seitenblicken, auch wenn Kneissl dies selbst auf diese Ebene zu reduzieren versucht und es wahrscheinlich auch ursprünglich selbst so sah – was nicht für sie spricht! In der „Kronenzeitung“ vom 26. August, im „Kurier“, in der „Presse“ desselben Tags, überall hausiert sie mit ihrer naiven Vorfreude auf ihre Hochzeit, und da habe sie eben auch dem zufällig gerade zu Besuch weilenden Putin eine Einladung überreicht, und der habe sie wider Erwarten angenommen.
Aber die Angelegenheit ist nur mehr politisch. Es geht in der ganzen ziemlich verschmockten Presse-Aufregung um die Möglichkeit, oder die von den meisten Zeitungen gewünschte Unmöglichkeit, ob oder dass Österreich noch eine eigene Außenpolitik führt, und sei es nur in kleinen Nuancen. Nahezu die gesamte Seite 3 reserviert das Zentralorgan der globalistischen Österreich-Verkäufer, „Der Standard“, am 23. August 2018 dem Event. Dabei ist es sich nicht zu blöd, die hohlen Phrasen zu wiederholen, die ihm eine obskure ukrainische Ministerin vorbuchstabiert hat: „Wiens Rolle als ehrlicher Brückenbauer ist gefährdet.“ Als ob es diese Rolle je gegeben hätte. Nicht einmal zu Kreiskys Zeiten hat dies ernsthaft funktioniert. Die PR-Dienste, die Kreisky dem Arafat und dem Sadat erwiesen hat in Ehren – aber damit hatte es sich auch schon. Zwar ist gerade die Neutralitäts-Frage auch eine Sache von Symbol-Politik. Aber man soll diese nicht verwechseln mit realen Interventionen, für die ein Kleinstaat nicht wirklich die Mittel hat. Auch stellt sich die Frage, ob da nicht zuviel an „Kompromiss“ erforderlich ist.
Andere – sogenannte – Zeitungen giften sich, weil sie nicht zur Hochzeit zugelassen wurden und keine Photos machen durften. Aber politisch läuft es auf Dasselbe hinaus.
Wir haben keinerlei Grund, Kneissl zu verteidigen und in Schutz zu nehmen; gerade jetzt nicht, da sie den politischen Aspekt, den die Angelegenheit inzwischen hat, so völlig ignoriert und nicht sehen will. Wir sollten aber sehr wohl die mentale Grundlage der Zeitungs-Debatte aufzeigen. Im Übrigen hat bereits der Meinungsforscher und seinerzeitige Beinahe-Kandidat des Liberalen Forums, Wolfgang Bachmayer, darauf hingewiesen: Kneissl als Person könnte aus dem Wirbel durchaus Nutzen ziehen. Denn wieder einmal will die Bevölkerung nicht so, wie es die Globalisten und NATO-Befürworter möchten.
Es geht diesen Zeitungen und natürlich auch den politischen Kommentatoren einfach darum, dass die österreichische Außenministerin, ob aus Eitelkeit, aus politischer Überzeugung oder aus einem anderen Grund, sich nicht hundertundfünfzigprozentig den Vorgaben solcher schmutziger Figuren beugt, wie es z. B. Rebekka Harms von den deutschen Grünen eine ist. Die wollte ja schon Schröder den Mund verbieten – nicht etwa, weil er auf ziemlich korrupte Weise sich einkaufen ließ, sondern weil er es gewagt hatte, gegen die antirussische Polit-Mafia eine Bemerkung zu machen. Aber Meinungsfreiheit darf eben nur für sie selbst und ihre Kumpane gelten, nicht für Andere.
Wir brauchen hier nicht im Detail auf die großteils ohnehin lächerlichen Anwürfe gegen die Außenministerin eingehen. Man muss da die reaktionärsten Figuren aufbieten. Da beglückt uns der erzkonservative Ex-Ministerpräsident Bildt aus Schweden. Es ist schon sehr lange her, 1991 bis 1994 war er es; in dieser Zeit stieg die Arbeitslosigkeit in Schweden von 2 % auf 8 % an, und das war nicht etwa nur eine europäische Rezession, sondern schwedisch-hausgemacht. Oder man präsentiert uns irgendwelche Leserbrief-Schreiber des britischen „Guardian“.
Österreich und seine Regierung soll und muss sich den US- und den Brüsseler Wünschen unterordnen. Basta. Diese Regierung der Industriellen-Vereinigung hat dies ohnehin zu einem Hauptziel erklärt. Kurz hat die EU-Agenden der zuständigen Außenministerin weggenommen und seinem schnöseligen Intimus Blüml übertragen. Das ist doch der beste Beweis. Dass inzwischen der EU-Ultra Karas für einflussreiche Posten in Österreich gehandelt wird, reicht offenbar auch noch nicht. Nein, die österreichische Politik soll ihre Abhängigkeit von Berlin und Brüssel möglichst in goldenen Lettern in die Verfassung schreiben.
Damit sind wir beim Thema. Österreich als Wirtschaftszone ist Teil des westeuropäischen Zentrums. Seine Exporteure und seine Eliten ziehen durchaus kürzer- und mittelfristig Nutzen aus dieser Position. Mit der Bevölkerung schaut es anders aus. Immer wieder wird behauptet: „Österreich“ habe aus der EU und der Eurozone profitiert. Doch die schleichende Dauerabwertung des Euro hilft mit, die Ungleichheit im Land zu vergrößern. Der Abschied von der Hartwährungspolitik mit dem Beitritt zu Eurozone beeinträchtigt langfristig die ökonomische Entwicklung, weil sie die Produktivität bremst. Kurzfristig befördert die Abwertung vielleicht die Beschäftigung. Aber auch das ist nach den Erfahrungen des letzten Jahrzehnts keineswegs so eindeutig. Langfristig bremst sie die Umstrukturierung einer hoch entwickelten Wirtschaften mit einer Reihe von Schwächen. Die kurzfristigen Brosamen für die Bevölkerung werden also für sie teuer erlauft.
Wir haben hier einen Musterfall der unsinnigen Euro-Politik: Für die Schwachen, für Griechenland, Spanien, Portugal, auch für Italien, obwohl dort die Lage wegen des Nord-Süd-Gegensatzes komplex ist, bedeutet der Euro eine ständige und nicht verkraftbare Aufwertung. Für die Mitglieder des nordwestlichen Kerns hingegen, Deutschland, Österreich, die Niederlande, bedeutet sie eine ständige Abwertung, welche im Grund gegen alle Bemühungen um eine sinnvolle Industriepolitik geht. „Aber im Schnitt ist es richtig“, schrieb vor einigen Jahren ein österreichischer Ökonom – Breuss hat sich nicht zum ersten Mal auch als Ökonom decouvriert, denn so etwas muss man sich erst einmal zu schreiben getrauen.
Gleichzeitig hat sich die Regierung seit dem EU-Anschluss auch formell-politisch in eine abhängige Position begeben. Brüssel oder auch direkt Berlin und immer wieder Washington schaffen an, und der Ballhausplatz und die Hofburg nicken devot ab. Das ist nicht erst in der Periode Kurz-Strache der Fall. Es gab über Faymann den bezeichnenden Witz: Er geht in die Sitzung eines EU-Ministerrats ohne Meinung und kommt mit der Meinung Merkels wieder heraus.
Die derzeitige Regierung der IV ist allerdings politisch-taktisch eine Spur geschickter als ihre Vorgängerinnen. Sie mimt Autonomie auf einigen meist zweit- bis drittrangigen Feldern. Das bringt ihr einen hohen Zustimmungsgrad in der Bevölkerung, obwohl diese bald von immer stärkeren Sozialabbau-Maßnahmen betroffen sein wird.
Das aber passt den Janitscharen des EU-Regimes nicht. Die wollen ein Abnicken ohne Reserve und Eigenwillen. Und dagegen hat Kneissl offenbar gesündigt.
Wir, die Linke, befinden uns gegenwärtig wirklich in einer nicht angenehmen Situation. Weisen wir auf diese Zusammenhänge hin, so entsteht der Anschein, als ob wir diese schäbige Regierung unterstützten. Tun wir dies nicht, könnte auch in jenem Milieu, wo wir noch irgendwie gehört werden, der Eindruck entstehen, als ob wir die Haltung von „Standard“ und „Österreich / oe24“ teilten.
Vielleicht ist es nicht ganz so entscheidend, aber wir sollten doch Klartext sprechen. Wie endete Karl Marx seine Kritik des Gothaer Programms? Dixi et salvavi animam meam. Vielleicht sollten auch wir das zu unserem Motto machen – zumindest solange wir bedauerlicher Weise so stark marginalisiert werden, wie es gegenwärtig bei der Hegemonie der Globalisten ohnehin der Fall ist.
28. August 2018